Ariane Geissmann: "Auf die eigenen Stärken besinnen"

01.06.2011

Das Frauen-Nationalteam bestreitet am Wochenende in Herisau zwei Spiele gegen die Slowakei. Dabei ist auch Ariane Geissmann (24), die in den letzten eineinhalb Jahren eine rasante handballerische Entwicklung durchgemacht hat und zuletzt mit Krim sogar in der Champions League auf dem Parkett stand. Im grossen SHV-Interview erzählt die Kreisläuferin von ihren Erfahrungen.

Das Frauen-Nationalteam bestreitet am Wochenende in Herisau zwei Spiele gegen die Slowakei. Dabei ist auch Ariane Geissmann (24), die in den letzten eineinhalb Jahren eine rasante handballerische Entwicklung durchgemacht hat und zuletzt mit Krim sogar in der Champions League auf dem Parkett stand. Im grossen SHV-Interview erzählt die Kreisläuferin von ihren Erfahrungen.

Ariane Geissmann, die Schweiz hat über Ostern in den Testspielen gegen Österreich zweimal deutlich verloren. Was fehlt der SHV-Auswahl noch, um mit internationalen Topteams mitzuhalten?
Es fehlt uns noch die Kaltblütigkeit im Abschluss und die Fähigkeit, über 60 Minuten hart zu verteidigen. Ausserdem ist unser schnelles Spiel noch nicht optimal. Wir können uns für gute Deckungsarbeit nur selten mit Gegenstössen und einfachen Toren belohnen, da wir zu langsam umschalten. Weil wir aber gerade im Spiel sechs gegen sechs oft unterlegen sind, wären diese Tore unheimlich wichtig. Dort haben wir noch viel Steigerungspotenzial.

Trainerin Marta Bon hat in den Partien gegen Österreich sehr viel gewechselt und das Tempo hoch gehalten. Ist das der Handball, den das Nationalteam zukünftig spielen muss?
Die vielen Wechsel sind auf jeden Fall nötig. Vor allem, weil sich viele Spielerinnen das hohe Tempo nicht oder nur in unregelmässigem Rhythmus gewohnt sind. Es ist auch gar nicht möglich, während 60 Minuten immer auf dem gleichen hohen Niveau zu spielen. Marta Bon verfolgt diese Strategie auch in Krim: Niemand spielt dort 60 Minuten durch. In den Spielen gegen Österreich wollte sie sicher auch verschiedene Varianten ausprobieren und allen Spielerinnen die Chance geben, Erfahrungen auf diesem Level zu sammeln.

Augenfällig war, dass nicht alle Spielerinnen in der SHV-Auswahl dieses Tempo mitgehen konnten. Das führte zu zahlreichen Fehlern. Wie kann das korrigiert werden?
Das muss mit der Zeit kommen. Marta hat uns gesagt, dass sie so spielen will, und dass wir diese Fehler zu Beginn in Kauf nehmen. Am Anfang reicht es vielleicht nur für eine Viertelstunde auf diesem Niveau, dann für 30 Minuten. Und irgendwann können wir es dann über 45 Minuten durchhalten. Aber an den hohen Rhythmus müssen wir uns zuerst gewöhnen.

Fehlt der Schweizer Nati nicht ein wenig die Breite, um so einen hohen Rhythmus durchzuziehen?
Ich glaube nicht, dass uns Breite fehlt. Das Potenzial wäre vorhanden. Es gibt aber Spielerinnen, denen die Konstanz noch abgeht, und die nicht regelmässig eine Topleistung abrufen können. Das spiegelt wohl auch etwas die Schweizer Liga. Es fehlen die Möglichkeiten, um konstant auf dem hohen Level zu spielen. Und in den Länderspielen kommt dann noch ein gewisser Druck dazu, der es auch nicht einfacher macht, wenn die Erfahrung fehlt.

Du hast den Schritt gewagt und ins Ausland gewechselt, erst nach Dänemark und zuletzt nach Slowenien. Wie ist das Ganze abgelaufen?

Ich habe nach meinem Sport-Studium ein Praktikum in Dänemark geplant und mir dort ein Team gesucht, bei dem ich spielen konnte. Dabei kam ich auf den Geschmack. Der Sport ist dort sehr attraktiv, alles ist professionell geführt, und die Welt dreht sich nur um Handball. Ich hatte eigentlich gar keine Karriere im Ausland geplant. Was ich dort dann aber gesehen habe, war so toll, dass ich mehr davon wollte. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

In den vergangenen eineinhalb Jahren führte dich dein Weg aus der Schweizer Liga direkt in die Champions League. Wie hast du diese rasante Entwicklung erlebt?
Eigentlich ist alles viel zu schnell gegangen (lacht). Verglichen mit der Schweiz ist der Sprung in die Champions League natürlich gewaltig gross. In der Zeit in Dänemark war ich aber ganz nahe an der Quelle zum Tophandball und hatte Kontakte mit vielen Leuten. Dadurch, dass ich mich dort nur mit Handball beschäftigt habe, ist es dann irgendwie realistisch geworden. Ich glaube im Übrigen, dass auch andere Schweizerinnen in einem Team wie Krim spielen könnten. Es ist für mich nämlich auch eine Faszination am Ausland, dass ich hier keine Leaderin sein muss, sondern mich von der Qualität in den Trainings und in der Mannschaft mitreissen lassen und meinen Teil beitragen kann.

Wie viele Trainingseinheiten bestreitest du mit Krim pro Woche?

Vor der Champions League waren es acht bis neun Trainings pro Woche, während der Champions League dann etwa sechs Trainings, weil die Belastung sowieso schon hoch ist. Und das alles immer mit dem ganzen Team. Natürlich wird in den Trainings nicht immer mit Vollgas trainiert, das ist alles genau geplant und der Situation angepasst. Dass der Rhythmus hoch ist, sehe ich gerade auch bei mir: Ich bin nämlich eigentlich sehr trainingsfleissig, aber es ist mir hier noch nie in den Sinn gekommen, neben dem normalen Trainingsbetrieb noch meine Laufschuhe anzuziehen (lacht).

Wie unterscheidet sich ein europäisches Spitzenteam wie Krim ganz grundsätzlich von einem SPL-Team?
Der grösste Unterschied ist, dass in jedem Training immer alle Spielerinnen dabei sind. Und weil alles perfekt organisiert ist, kann man sich total auf den Handball konzentrieren. Ausserdem ist man natürlich finanziell abgesichert und kann die Sache ganz anders angehen als zu Hause. In der Schweiz war ich immer im Stress, hatte kaum Zeit für andere Beschäftigungen. Hier gibt es noch ein Leben neben dem Handball. Das ist wirklich eine grossartige Erfahrung.

Wenn wir die Schweiz zum Vergleich nehmen: Ist es überhaupt möglich, Handball auf Top-Niveau zu betreiben, wenn nebenher noch ein 100-Prozent-Arbeitspensum absolviert werden muss?

Nein, das glaube ich nicht. Du kannst zwar schon probieren, jeden Tag zu trainieren. Aber die Qualität leidet. Das habe ich auch bei mir gesehen. Ich war oft müde und lustlos. Nach acht Stunden Arbeit noch trainieren zu müssen, ist nicht immer toll. Das ist zwar schade, aber das ist in der Schweiz derzeit einfach so. Es ist Teil unserer Kultur und unserer Gesellschaft. Und wer das nicht will, der muss halt ins Ausland.

Wie werden Schweizerinnen im Handball-Ausland akzeptiert?
Auf die Schweizerinnen wartet im Ausland natürlich niemand. Das beginnt schon damit, weil wir mit dem Nationalteam nie an einer Endrunde dabei sind und auch keine internationalen Erfolge mit Clubteams vorweisen können. Im Ausland fragt man sich halt daher, ob in der Schweiz überhaupt Handball gespielt werden kann. Als Schweizerin muss man sich im Ausland zuerst beweisen. Es ist aber auch typisch schweizerisch, dass man sich immer zuerst zurücknimmt. Gerade am Anfang wollen dir immer alle beibringen, was du noch lernen sollst und woran du dich noch gewöhnen musst. Irgendwann muss man sich dann aber auch auf seine eigenen Stärken besinnen.

Ist dies auch mit dem Nationalteam zu beobachten?

Ja, wir treten auch mit der Nati eher zurückhaltend auf. Wir haben den Handball nicht erfunden, also ordnen wir uns unter. Wir spielen gleich den Aussenseiter und haben oft nur wenig Selbstvertrauen. Der Glaube an uns kann noch viel grösser werden. Abgesehen davon: Dadurch, dass mittlerweile schon mehrere Schweizerinnen den Sprung ins Ausland geschafft haben, wächst auch die Akzeptanz. Gerade in Deutschland wird das Interesse an Schweizerinnen laufend grösser.

Was würdest du einer jungen Spielerin raten, die den Sprung ins Ausland wagt?

Ich würde ihr raten, dass sie sich nicht als kleine Schweizerin präsentiert, sondern dass sie zeigt, dass auch wir Handballspielen können. Sie darf sich nicht unterkriegen lassen und muss wieder aufstehen, wenn sie mal auf den Boden fällt. So etwas passiert im Ausland automatisch, weil man alleine ist. Es braucht Geduld und Ausdauer. Das Vertrauen der Mitspielerinnen muss man sich erst erarbeiten.

Du hast den internationalen Durchbruch geschafft. Wie geht es mit deiner Karriere weiter?
In Krim kommt im Sommer ein neuer Trainer, und ich werde den Verein verlassen. Das war so geplant. Ursprünglich wollte ich nach Dänemark zurück, aber dort war auch nicht alles ganz so einfach. In Slowenien habe ich gesehen, wie grossartig es in einem solchen Team sein kann. Darum habe ich Angebote aus Dänemark und Norwegen abgelehnt. Es wird mich nach Deutschland ziehen.


Frauen-Länderspiele im Sportzentrum Herisau
Schweiz – Slowakei
Samstag, 4. Juni, 17.30 Uhr
Sonntag, 5. Juni, 17.30 Uhr

Quelle: Marco Ellenberger

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