Die Nationalmannschaft vor den Spielen der Wahrheit

01.04.2014

Der Schweizer Handball-Auswahl steht eine prekäre Barrage gegen Estland bevor. Ein Scheitern ist mit dem frühestmöglichen Out für die EM-Kampagne 2016 gleichzusetzen. Weil die SHV-Auswahl in der EM-Qualifikation vor zwölf ihren Platz in den Top 25 einbüsste, muss sie mittlerweile sogar um die Startberechtigung an der (Vor-)Ausscheidung kämpfen. Das Hinspiel steigt am Mittwoch in Tallinn, das Rückspiel am Freitag in St. Gallen.

Den Ernst der komplizierten Lage haben sie beim nationalen Verband selbstredend längst erkannt. Auf eine Beschönigung der Situation verzichten die Verantwortlichen. "Es geht darum, den Sturz in die Drittklassigkeit zu verhindern", sagt Ingo Meckes vor dem Duell gegen die Balten ohne Umschweife. Die Partien in Tallinn und St. Gallen sind für alle Beteiligten richtungsweisend.

Eher suboptimal sind die Begleitumstände der Woche der sportlichen Wahrheit. Weil der Europäische Verband EHF das CL-Achtelfinal-Rückspiel Rhein-Neckar - Kielce (27:23) auf den Montagabend terminiert hat, ist der Löwen-Regisseur Andy Schmid innerhalb von fünf Tagen dreimal einer extremen Belastung ausgesetzt. Weil überdies die Lufthansa streikt, müssen die Schweizer via Umweg über Kopenhagen zurückreisen. Und 22 Stunden nach dem zweiten Spiel gegen die Esten empfangen die Schweizer im Rahmen des vor zwei Jahren fixierten "Swiss Handball Cups" in Lausanne den Weltmeister Spanien – das Timing ist, teils unverschuldet, alles andere als günstig.

Brack – kein Feuerwehrmann
Ganz unvorbereitet kommt die unangenehme Herausforderung für Rolf Brack nicht. Der neue Nationalcoach war sich der problematischen Ausgangslage vor seinem Wechsel durchaus bewusst: "Ich bin nicht als Nationaltrainer in die Schweiz gekommen, um hier eine gemütliche, stresslose Tätigkeit zu erledigen. Ich bin es mir seit 30 Jahren gewohnt, die Hälfte der Zeit um alles oder nichts zu spielen – es ging immer um den Klassenerhalt oder den Aufstieg." Er spricht von einer Sache, "die mich reizt und motiviert, die eine perfekte Spielvorbereitung bedingt".

Zu unterschätzen ist die Aufgabe gegen die Osteuropäer in der Tat nicht, obschon sie in der Vergangenheit kaum einmal in Erscheinung getreten sind. 13 Esten sind in europäischen Ligen tätig. Mait Patrail, am Anfang seiner Karriere mit Schaffhausen EHF-Cup-Finalist und mittlerweile beim TSV Hannover-Burgdorf, ist der starke Kopf des Kontrahenten. Zur Seite steht dem "Kompletten" (Zitat Brack) mit Dener Jaanimaa (Eisenach) ein Top-Shooter, der in Deutschland mehr auf- als abfällt.

Einige jüngere Schweizer dürften bereits gewarnt sein. Vor fünf Jahren qualifizierte sich die estnische U21 auf Kosten der damals höher eingeschätzten SHV-Junioren für die EM-Endrunde. Brack blendet Negatives aus der Vergangenheit aus. Mit den Folgen des möglichen Scheiterns will er sich nicht befassen, einen (persönlichen) Totalschaden schliesst Brack ohnehin aus: "Ich bin als strategisch orientierter Nationaltrainer verpflichtet worden, nicht als Feuerwehrmann, der innerhalb von drei Monaten die Ziele ohne Wenn und Aber erreichen muss."

Post und Systeme
Aber eine A-Nationalmannschaft ohne Perspektiven kann sich die Schweizer Handball-Szene im Prinzip nicht leisten. Deshalb setzte Rolf Brack alles daran, mit dem bestmöglichen Personal anzutreten. Captain Schmid, in Mannheim die grosse Figur beim ersten Verfolger des THW Kiel, kehrt nach seinem Timeout zurück. Der zuletzt beruflich beanspruchte Luzerner Abwehrchef Daniel Fellmann stellt sich ebenfalls zur Verfügung. Die beiden Rückkehrer spielen in den Überlegungen von Brack eine zentrale Rolle. Schmid ist für den Deutschen "unser angriffstaktischer Leader. Er besitzt Weltklasse-Niveau." Entsprechend wird er das Spiel in der Offensive auf den Bundesliga-Star ausrichten. Brack schwebt vor, dass die Schweizer mit einer ähnlichen Strategie wie die Löwen angreifen. "Wir müssen das Spiel in die Breite ziehen und uns Räume schaffen."

Die verhältnismässig geringe Wurfkraft des Rückraums soll durch spielerische Raffinesse kompensiert werden. Und in der eigenen Zone ist Fellmann als Patron der Defensive vorgesehen. "Er besitzt das nötige Charisma", ist Brack überzeugt. Der Abwehrspezialist muss die 6:0-Deckung orchestrieren. Der neue Selektionär verlangt eine "flexible Wand, die Dauerdruck auf den Angriff ausübt" und wünscht sich eine "Verdichtung des Raums".

Brack, vor seinem Wechsel zum SHV während 30 Jahren im deutschen Spitzen-Handball engagiert, hat klare Konzepte und diverse Systeme im Kopf. Nach dem Out in der vergangenen WM-Qualifikation erstellte der langjährige Uni-Privatdozent eine fundierte Analyse und produzierte gegen 100 Powerpoint-Folien. Den Spielern stellte er einen Teil des Materials zu: "Sie sollen einen optimalen Plan besitzen, um aus den vorhandenen Möglichkeiten etwas zu machen."

Die törichte Aktion von Alen Milosevic
Post erhielt überraschend auch Iwan Ursic. Der 37-jährige Ex-Bundesliga-Professional springt am Kreis ein, weil Alen Milosevic das tiefe Niveau der WM-Kampagne am Ende einer nächtlichen Kneipentour mit einem obszönen Bild noch unterbot. Als der "Blick" das entblösste Hinterteil des Nationalspielers abdruckte, reagierte Brack mit der sofortigen Suspendierung des "Leipzigers". "Er sollte ein Vorbild sein und handelte stattdessen absolut unprofessionell!" So töricht die Aktion des Hoffnungsträgers war, in absehbarer Zeit ist mutmasslich mit einer Bereinigung der Situation zu rechnen. "Lebenslänglich dauert die Sanktion ja nicht."
 


 
EM-Qualifikation, Barrage


Hinspiel: Estland – Schweiz
Mittwoch, 2. April, 19 Uhr (MEZ), Tallinn
Live im SportSzene Fernsehen (SSF) und auf handballTV.ch

Rückspiel: Schweiz – Estland
Freitag, 4. April, 20 Uhr, Kreuzbleiche, St. Gallen
Live im SportSzene Fernsehen (SSF) und auf handballTV.ch

Der Vorverkauf für das Heimspiel läuft bei ticketportal unter der Nummer 0900 101 102 (CHF 1.19/Min., Anrufe ab Festnetz), im Internet unter www.ticketportal.com, an jedem SBB-/SOB- und BLS-Bahnhof, in über 1‘000 Poststellen, in über 100 Hotelplan-Filialen, in allen grösseren Manor- und Coop-City-Warenhäusern und weiteren Verkaufsstellen.
 



Swiss Handball Cup
5. und 6. April 2014, Malley, Lausanne

Das Teilnehmerfeld: 
Spanien (Weltmeister 2013)
Schweden (Olympia-Zweiter 2012)
Kroatien (EM-Dritter 2012, Olympia-Dritter 2012, WM-Dritter 2013)
Schweiz (Gastgeber)

Weitere Informationen: www.swisshandballcup.ch

 
Quelle: Sven Schoch, Sportinformation (Si)

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