Rolf Brack: «Gegen Tschechien sind wir der Aussenseiter»

30.01.2015

Die Handball-Weltmeisterschaft in Katar neigt sich dem Ende entgegen. Nationaltrainer Rolf Brack schildert im Interview seine Beobachtungen, was die neuen Trends unserer Sportart angeht. Ausserdem schaut er zurück auf die Januar-Länderspiele der SHV-Auswahl und erklärt, was im Hinblick auf die wegweisenden EM-Qualifikations-Spiele gegen Tschechien unternommen wird.
 


 
Rolf Brack, derzeit läuft die Handball-WM in Katar. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den bisherigen Spielen?
Rolf Brack: Es gilt heute mehr denn je: Die Abwehr und die Torwartleistungen sowie das daraus resultierende Konterspiel sind entscheidend für den Erfolg. Entsprechend sind mit Frankreich und Spanien die Nationen mit der besten Qualität im Verteidigungs- und Umschaltspiel auch die grössten Anwärter auf den Titel. Es ist auch zu sehen, dass die Mannschaften heute deutlich mehr versuchen, über die Nahdistanz – also per Durchbruch im Zentrum, über den Kreisläufer oder über die Aussenspieler – zum Torerfolg zu kommen. Entsprechend wird die 6-0-Deckung mit grossen Innenverteidigern sehr kompakt, aber auch mit Körperkontakt gespielt. Ausserdem ist der Spezialistenwechsel zwischen eher angriffs- und eher abwehrstarken Spieler ein klarer Trend bei der WM. Spanien hat diesen Blockwechsel mit drei und Deutschland  sogar mit teilweise vier  Spielern sehr erfolgreich praktiziert. Das ist auch für uns interessant, weil wir aktuell zu wenige Allroundspieler haben, die über 60 Minuten in Angriff und Abwehr auf hohem internationalem Niveau spielen können.

Welche WM-Partien haben Sie besonders beobachtet?
Rolf Brack: Für mich war es natürlich wichtig, alle Spiele unserer Gegner in der EM-Qualifikation zu sehen. Frankreich hat bestätigt, wie dominant es über seine Abwehrqualität ist. Wenn man da zum Beispiel die Spiele gegen Argentinien (Achtelfinal) und Slowenien (Viertelfinal), die sich zuvor gegen mehrere Topmannschaften hervorragend verkauft haben, als Vergleich nimmt, muss man schon sagen, dass wir uns in Basel sehr gut aus der Affäre gezogen haben. Mazedonien hat im Achtelfinale sehr unglücklich gegen Kroatien verloren. Die Mazedonier haben ein starkes Turnier gespielt,  obwohl Kiril Lazarov nicht in Topform angetreten ist. Tschechien hat in der Gruppenphase nur knapp gegen Frankreich verloren und gegen Island und Algerien jeweils Kantersiege gefeiert. Am Ende haben sie mit Siegen gegen Russland und Weissrussland den Presidents-Cup (untere Tableauhälfte, Red.) gewonnen – und auch das, obwohl der gesundheitlich geschwächte Filip Jicha  kaum Akzente setzen konnte. Die Tschechen haben von ausgezeichneten Torhüter-Leistungen mit Quoten von teils 50 Prozent profitiert und ihre internationale Stärke eindrücklich unter Beweis gestellt.

Tschechien ist in der EM-Qualifikation Ende April ja der nächste Gegner der Schweiz. Was erwartet die SHV-Auswahl?
Rolf Brack: Wenn ich die beiden Testspiele von Anfang Januar in Deutschland dazu nehme, habe ich nun innert drei Wochen sieben Spiele von Tschechien gesehen und mir ein entsprechend gutes Bild machen können. Wir müssen da schon realistisch bleiben: Das wird eine deutlich schwierigere Aufgabe als ich direkt nach der Auslosung unserer EM-Qualifikations-Gruppe im vergangenen Sommer gedacht habe. In unserem Heimspiel vom 29. April in Schaffhausen ist Tschechien der Favorit. Wir müssen nicht nur gut, sondern sehr gut spielen, um dort eine Überraschung  schaffen zu können. Die WM hat noch einmal klar gezeigt: Wir haben mit Frankreich, Mazedonien und Tschechien die mit Abstand schwierigste Gruppe in der EM-Qualifikation gezogen. 

Die Schweiz ist mit guten Leistungen am Yellow Cup in Winterthur und danach mit zwei Niederlagen in Österreich ins neue Jahr gestartet. Was haben Sie aus diesen Begegnungen mitgenommen?
Rolf Brack: Wir haben gegen Mannschaften, die im Ranking alle vor uns klassiert sind, sieben gute und nur drei schlechte Halbzeiten gespielt. Wir haben in diesen Spielen – vor allem in Winterthur gegen zwei WM-Teilnehmer – gezeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Zumal wir bedenken müssen, dass wir aufgrund der Ausfälle nur fünf Innenverteidiger im Kader hatten. In Österreich haben wir mit nur noch elf einsatzfähigen Feldspielern gegen einen starken Gegner zweimal  auf Augenhöhe agiert – aber jeweils nur über die ersten 30 Minuten. Dann haben wir physisch enorm abgebaut, der Substanzverlust war deutlich spürbar. Die Erkenntnis daraus: Wenn wir mehrere Partien in einer Woche spielen, müssen wir einen vollständigen Spielerkader zur Verfügung haben und ein optimales Verhältnis von Belastung und Erholung herstellen. Ich sehe das für die EM-Qualifikation nicht als Problem, weil wir einen Kader mit insgesamt mehr Abwehrqualität zusammenstellen werden und die Belastungsdosierung mit einer guten Planung gezielt steuern können. Das grundsätzliche Problem und Handlungsbedarf sehe in der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Abwehr und Torhüter: Hier müssen einerseits die Verteidiger unsere Torhüter mehr unterstützen, indem sie die Angreifer beim Torwurf mehr unter Druck setzen. Andererseits müssen auch die Torhüter ihre individuelle Leistung im Hinblick auf die Abwehr von «Pflichtbällen» und eine aggressivere Ausstrahlung verbessern.

Wie geht es nun weiter, vielleicht gerade im Hinblick auf die Spiele gegen Tschechien?
Rolf Brack: Wir werden uns jetzt natürlich voll auf das Heimspiel in Schaffhausen fokussieren. Bei der Kaderzusammenstellung wird die Abwehrqualität und die Form der Kaderkandidaten in der Finalrunde eine massgebende Rolle spielen. Wir werden in den Trainingseinheiten im März und beim Zusammenzug Ende April zunächst sehr viel Wert auf die Verbesserung von individuellen Basics im Abwehr- und Torhüterbereich sowie auf die Klasse im Torwurf legen. Mannschaftstaktisch gilt es, unsere 6-0- und 5-1-Abwehr auf Stärken und Schwächen von Tschechien einzustellen sowie die Konter-und Angriffskonzepte weiter zu entwickeln. Im Januar hatten wir im Angriff auch Defizite im Spiel über den Kreisläufer, nicht zuletzt weil Daniel Fellmann und Luca Mühlemann ausfielen. Hier bin ich optimistisch, dass wir wieder mehr Stärke entwickeln können, wenn beide fit sind. Insgesamt habe ich sechzehn Feldspieler und drei Torhüter in meinem Notizblock fett unterstrichen, die wissen, dass die «Herausforderung Tschechien» nur gemeinsam mit einem Maximum an kooperativer Zusammenarbeit gelöst werden kann.

Quelle: Marco Ellenberger

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