Regelfrage: Torhüter-Kopftreffer aus dem Spiel heraus

16.01.2017

Seit Sommer 2016 wird auch in der Schweiz nach den neuen Regeln Handball gespielt. Der SHV hat daher die Möglichkeit eingerichtet, Regelfragen direkt beim Experten Hanspeter Knabenhans zu platzieren. Vom Formular wird auch heute noch Gebrauch gemacht, wie das nachfolgende Beispiel zeigt. Die Zusammenfassung der beantworteten Fragen ist unter dem folgenden Link zu finden.
 

 



Regelfrage von Florian S. vom 15. Januar 2017

Das ist nicht direkt eine Frage zu den neuen Regeln, sondern ein Fall, denn ich gerade erlebt habe: Ich bin Torhüter und habe nun seit längerer Zeit mal wieder einen Kopftreffer erlitten. Das besondere an diesem Kopftreffer war, dass der Kopftreffer bei einem Gegenstoss statt fand, ohne irgendwelche gegnerischen Einflüsse und der Schuss somit weder schwach noch unkontrolliert abgegeben worden ist. Ich für meinen Teil stand in meiner Abwehrhaltung und machte keine aktive Bewegung zum Ball mit meinem Kopf.

Für mich ist dies eine gesundheitsgefährdende Aktion, welche mindestens mit einer 2 Minuten Strafe geahndet werden sollte. Es wurde aber keinerlei Strafe ausgesprochen und eine kurze Zeit zur Pflege habe ich auch nicht erhalten. Anscheinend gibt es keinen "Schutzartikel" für Torhüter in diesem Fall (nur bei Siebenmeter-Würfen), was ich ziemlich fragwürdig finde.

Ich weiss, dass im Spiel in den Wurfbewegungen am Kreis und vom Flügel mit Körperkontakt Kopftreffer vorkommen, da ist auch nicht immer die komplette Wurfkontrolle beim Spieler vorhanden. Aber bei einem Gegenstoss ohne Körperkontakt keine Strafe auszusprechen finde ich unerklärlich. Das ist ein falsches Zeichen gegenüber den Torhütern. Wird der Torhüter wirklich nur beim Siebenmeter "geschützt" durch die Regeln?
 



Antwort von Regelexperte Hanspeter Knabenhans

Lieber Handballkollege

Die Frage ist sehr vielschichtig (Kopftreffer, Torwartschutz, Pflege, ...). Ich versuche deshalb, sie möglichst differenziert zu beurteilen:

  • Das Regelwerk unterscheidet zwischen Kopftreffern beim 7m und Kopftreffern aus dem Spiel. Beim 7m ist die Position des Torwarts eingeschränkt (4m-Linie) und der Werfer befindet sich nicht in Bewegung. Beim Kopftreffer aus dem Spiel gibt es für den Torwart keine Einschränkung, der Werfer ist in Bewegung. Diese Differenzen rechtfertigen eine unterschiedliche Einstufung der beiden Situationen.
  • Beim 7m hat ein Kopftreffer gemäss Regel 8:9 eine rote Karte zur Folge, "wenn der Torwart seinen Kopf nicht Richtung Ball bewegt". Was dies genau bedeutet, wurde den Spitzen-SR letzte Woche an zwei Beispielen der ersten Saisonhälfte wieder einmal erläutert.
  • Beim Kopftreffer aus dem Spiel ist eine solche ("automatische") Sanktion nicht vorgesehen (Gründe der unterschiedlichen Beurteilung siehe oben). Dies wurde bei der Vorbereitung der Schiedsrichter auf die WM in Frankreich aufgrund einer Situation an der EM der Frauen nochmals ausdrücklich bestätigt.
  • Vorbehalten bleibt allerdings eine Sanktion (Rote Karte mit Bericht) gestützt auf Regel 8:6. Wenn die Schiedsrichter hinter der Aktion eine klare Absicht erkennen, den Torwart "abzuschiessen", kann das Vergehen gleich eingestuft werden wie eine Tätlichkeit. In der Praxis ist der "Nachweis" der Absicht allerdings meist schwierig und wird wohl von Torwart und Angreifer sehr kontrovers beurteilt.

Dennoch geniesst der Torwart in solchen Situationen einen besonderen Schutz:

  • Ist der Torwart durch den Kopftreffer handlungsunfähig, müssen die Schiedsrichter das Spiel sofort unterbrechen (Guidelines S.82/83). Hier wird also der Schutz der Gesundheit jeglichen Vorteilsgedanken vorgezogen.
  • Selbst wenn der Angreifer in Ballbesitz kommt und vom Kreis aufs leere Tor werfen könnte, wird das Spiel unterbrochen und mit einem Freiwurf wieder aufgenommen - trotz Torchance nicht mit einem 7m-Wurf - der Schutz der Gesundheit geht vor.
  • Der Torwart darf nach einem Kopftreffer auf der Spielfläche gepflegt werden, ohne danach 3 Angriffe aussetzen zu müssen - im Gegensatz zur Verletzung eines Feldspielers.

Der Schutzgedanke spielt also im Regelwerk durchaus eine Rolle, er hat sogar sehr hohe Priorität. Die Frage, ob er auch durch eine entsprechende Sanktion ergänzt werden soll, hat die IHF im Zusammenhang mit dem neuen Regelwerk erneut geprüft. Dabei hat sich gezeigt, dass auch die Trainer- und Methodikkommission der IHF eine solche Änderung nicht befürwortet. Sie hätte zur Folge gehabt, dass besipielsweise Würfe vom Flügel für den Angreifer mit hohem Risiko verbunden gewesen wären (drohende Disqualifikation bei einem Kopftreffer). Dies hätte Aktionen vom Flügel grundsätzlich verändert - viele hohe Bälle wären dem Risiko des Werfers zum Opfer gefallen, was den "Zweikampf" Werfer - Torwart grundlegend verändert hätte. Diese Änderung wollten gerade auch die Trainer nicht.

Quelle: Marco Ellenberger

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