09.07.2018
Nach 128 Länderspielen und 400 Toren ist Schluss: Mit der Saison 2017/18 ist auch die beeindruckende Karriere von Karin Weigelt zu Ende gegangen. Die 34-jährige St. Gallerin, die ihre Laufbahn beim LC Brühl startete, spielte in den vergangenen elf Jahren in Deutschland, Norwegen und Frankreich und hielt so in ganz Europa die Schweizer Fahne hoch. Im grossen Interview erzählt sie von ihrer Karriere, von ihren Erlebnissen in anderen Ländern und was sie in Zukunft machen will.
Wir sagen ganz einfach: Danke, Karin!
Karin Weigelt, vor einem Monat war für dich Schluss mit Handball – nach insgesamt 16 Jahren Spitzensport und zuletzt elf Jahren im Ausland. Wie fühlt es sich heute an?
Karin Weigelt: Momentan eigentlich noch gar nicht so speziell, weil ich jetzt sowieso noch Ferien gehabt hätte. Aber es ist natürlich schon anders. Ich bin zurück in die Schweiz gezogen, und bei mir im Kopf hat ein Prozess stattgefunden. Ein bisschen komisch ist es schon, wenn ich daran denke, dass ich keine Saisonvorbereitung mehr machen muss.
Du hast in Deutschland, Norwegen und Frankreich gespielt. Was hat dich in deiner Zeit im Ausland am meisten geprägt?
Karin Weigelt: Ich habe sehr viele Sachen mitgenommen. Nicht nur aus den Ländern und Kulturen, sondern vor allem auch durch das Leben als Spitzensportlerin. Aus der Zusammenarbeit mit so vielen verschiedenen Menschen und aus immer wieder neue Situationen, auf die ich mich einlassen musste. Mit meinen Mannschaften habe ich immer einen klaren Plan verfolgt, und daneben wollte ich möglichst viel Positives mitnehmen. Es waren viele Reisen, viele Abenteuer. Das ganze Leben mit all diesen Begegnungen hat mich sicher sehr geprägt.
«In Norwegen wurde die Schweiz oft mit Österreich verwechselt.»
Als du in den neuen Ländern begonnen hast: Was für ein Bild hatten deine Teamkolleginnen jeweils vom Handball in der Schweiz?
Karin Weigelt: Die wussten teilweise nicht viel, besonders in Norwegen oder in Frankreich. Da ging es aber dann nicht nur um den Handball, sondern um ganz grundsätzliches. In Frankreich haben sie am Anfang nicht verstanden, warum ich nicht fliessend Französisch spreche. Ich habe ihnen dann erklärt, dass die Schweiz auch einen deutschsprachigen Teil hat. In Norwegen wurde die Schweiz oft mit Österreich verwechselt. Irgendwann lernt man aber, das mit Humor zu nehmen. Und ich habe das auch immer als Chance gesehen, um als Schweizerin zu zeigen, was wir draufhaben.
Quasi als Botschafterin für die Schweiz und den Schweizer Handball.
Karin Weigelt: Ja klar, je länger je mehr. Eigene Traditionen und typisch schweizerische Eigenschaften fallen einem erst mit einem gewissen Abstand zur Heimat auf und nehmen plötzlich einen wichtigen Platz ein. Ich habe mich immer sehr mit meiner Herkunft identifiziert und habe so auch gelernt, liebgewonnene Schweizer Traditionen in anderen Ländern zu zeigen und weiterzugeben. Die Chance, genau dasselbe auch in einem fremden Land zu erfahren und mitzumachen, hat mich unglaublich fasziniert. Ich würde fast sagen, dass sich dadurch Deutschland, Norwegen und Frankreich für immer ein kleines Stückchen meines Herzens sichern konnten.
Das Engagement in diesen Ländern war also immer auch zusätzliche Motivation?
Karin Weigelt: Ich glaube tatsächlich, dass ich nicht so lange Handball gespielt hätte, wenn ich in der Schweiz geblieben wäre. Da hätte mir irgendwann die Herausforderung gefehlt. Es war spannend, andere Mannschaften, Ligen, Länder und Menschen kennenzulernen. Es war immer eine grosse Motivation, das mit dem Handball zu verbinden.
«Meine Eltern haben mir damals gesagt, dass ich jederzeit zurückkommen kann, wenn es nicht klappt.»
War es denn damals, als du es bei Brühl in die NLA geschafft hast, bereits deine Intention, eine Karriere im Ausland zu starten?
Karin Weigelt: Nein, nicht bewusst. Vroni Keller hat mich damals immer motiviert, ich solle doch den nächsten Schritt wagen. Dann hat sich alles ergeben: Am Stadtwerk Cup 2006 hat sie für mich den Kontakt zu Renate Wolf und Bayer Leverkusen hergestellt, und dann kam eins nach dem anderen – bis ich gesagt habe, dass ich das machen will. Von mir selbst aus hätte ich wohl nicht die Initiative ergriffen. Du brauchst immer Leute im Leben, die dich fördern, unterstützen und an dich glauben. Gerade Vroni war für mich in dieser Zeit und auch bis heute eine wichtige Bezugsperson.
In der Schweiz gibt es derzeit mehrere talentierte Spielerinnen, die mit einem Wechsel ins Ausland liebäugeln. Was würdest du ihnen auf den Weg mitgeben?
Karin Weigelt: Ich würde ihnen Mut machen, unbedingt alles zu probieren. Die Erfahrungen, die es im Ausland zu machen gibt, sind einzigartig und mit nichts aufzuwiegen. Meine Eltern haben mir damals auch immer gesagt, dass ich jederzeit zurückkommen kann, wenn es nicht klappt. Wer es aber nicht probiert, der hat schon verloren. Unseren jungen und hoffnungsvollen Spielerinnen sage ich darum: Gebt Vollgas, wagt den Schritt – und dann könnt ihr irgendwann auch mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen und euch sagen, dass ihr alles versucht habt, was möglich war.
«Ich bin von dieser Mannschaft begeistert.»
Die Nationalmannschaft hat eine ebenso bewegte wie beeindruckende Saison hinter sich. Zuerst der Trainerwechsel, dann die Sensation gegen die Ukraine und dann das bekannte Ende gegen Kroatien. Wie hast du diese Monate erlebt?
Karin Weigelt: Die Monate waren intensiv. Nicht nur für mich, sondern für die ganze Mannschaft. Es hat nach dem Trainerwechsel ein Umdenken und eine Veränderung im Bewusstsein stattgefunden. Obwohl das Ende mit den beiden deutlichen Niederlagen natürlich enttäuschend war, bin ich von dieser Mannschaft begeistert. Wir wollten, wir haben alles versucht, haben Emotionen hineingebracht und Wille gezeigt. Wir haben uns mit der Aufgabe identifiziert, uns bestmöglich vorbereitet und alles gegeben. Am Ende zählten da nicht nur die Resultate, sondern auch das gemeinsame Erlebnis in dieser Saison und das Gefühl, das wir mit dieser Mannschaft erleben konnten.
Nun ziehst du einen Schlussstrich. Warum gerade jetzt?
Karin Weigelt: Für mich ist der Zeitpunkt gut gewählt und fühlt sich richtig an. Ich hatte immer das Ziel, dann aufzuhören, wenn ich kann – und nicht, weil ich muss. Ich durfte bis zuletzt auf hohem Niveau spielen. Die Entscheidung fiel auch aus Respekt vor dem Körper. Ich hatte in meiner ganzen Karriere nur wenige Verletzungen. Trotzdem merke ich, dass ich keine Zwanzig mehr bin.
Jetzt bist du zurück in der Ostschweiz. Wo siehst du derzeit deine grössten Herausforderungen im «Leben nach deiner Handball-Karriere»?
Karin Weigelt: Eine grosse Herausforderung ist derzeit, dass ich noch wenig Struktur in meinem Alltag habe. In den vergangenen 16 Jahren war jede Saison, jeder Tag im Voraus durchgeplant. Jetzt ist das auf einmal weg. Das ist zwar schön, aber gar nicht so einfach. Mir sind quasi auf einen Schlag mein Job, mein grösstes Hobby und ein Teil meines sozialen Umfelds weggebrochen. Diese Lücke muss erst wieder aufgefüllt werden.
Wird man dich auch künftig in Handball-Hallen antreffen?
Karin Weigelt: Was meine aktive Karriere angeht, habe ich ganz klar einen Schlussstrich gezogen. Aber mein Herz schlägt immer noch für den Handball. Mein ganzes Leben drehte sich darum. Ich habe eine besondere Beziehung zu diesem Sport, viele Freunde und Kollegen. Das will ich mir erhalten. Ich kann mir auch gut vorstellen, Ansprech- und Begleitperson zu sein, wenn eine Spielerin den Schritt ins Ausland wagen will.
«Ich will die Begeisterung und die Leidenschaft, die ich über all die Jahre im Sport erleben durfte, auf meine zukünftige Aufgabe übertragen.»
Das heisst, dass nun auch andere von deinen Erfahrungen profitieren sollen?
Karin Weigelt: Ich würde mich sehr freuen, wenn ich meine Erfahrungen weitergeben und bei Bedarf auch mal beratend zur Seite stehen kann. Ich habe über all die Jahre ein grosses Netzwerk im europäischen Frauenhandball aufgebaut. Das möchte ich ohnehin gerne weiterhin pflegen – und da kann ich sicher auch die eine oder andere Türe öffnen.
Das bringt uns abschliessend noch zum Thema Zukunft. Du hast einen eidgenössischen Abschluss in Marketingkommunikation, bist PR-Fachfrau und hast einen Master in Sportmanagement. Wie soll deine berufliche Zukunft in der Schweiz aussehen?
Karin Weigelt: Ich bin offen für Neues. Das kann in der Kommunikationsbranche, in der Vermarktung, in der Organisation von Events oder auch ganz was anderes sein. Ich setze mich da jetzt aber nicht unter Druck. Mir ist wichtig, eine Aufgabe zu finden, mit der ich mich identifizieren und hinter der ich stehen kann. Natürlich freue ich mich erst recht, wenn ich dabei meine Erfahrungen und mein Netzwerk einbringen kann. Ich will die Begeisterung und Leidenschaft, die ich über all die Jahre im Sport erleben durfte, auf meine künftige Aufgabe übertragen.
Der SHV ist der nationale Fachverband und das Kompetenzzentrum für den Handballsport in der Schweiz.
Der SHV ist Mitglied von Swiss Olympic sowie des Weltverbands IHF und der Europäischen Handball Föderation EHF.
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