14.04.2020
Homeoffice statt Länderspiele in Montenegro: Männer-Nationaltrainer Michael Suter gibt im Interview während der ursprünglich geplanten Nationalmannschafts-Woche einen Einblick in seinen Alltag, in seine Planungsarbeiten und in seine persönlichen Gedanken zur Coronakrise.
Michael Suter, was haben Sie über Ostern gemacht?
Michael Suter: Wir sind natürlich zu Hause geblieben. Wir haben mit den Kindern bei uns im Garten die Eier und die Osternester gesucht.
Wie erleben Sie die ganze Situation?
Michael Suter: Ich verfolge die Coronakrise sehr eng, ich tausche mich dazu auch regelmässig mit Bekannten auf verschiedenen Kanälen aus. Wir selbst sind seit dem 13. März quasi zu fünft in Familienquarantäne. Uns geht es gut, wir sind alle gesund. Aus dem Haus gehen wir nur für notwendige Besorgungen von Lebensmitteln in der Region. Wir nutzen lokale Angebote auf dem Bauernhof oder von Restaurants, die jetzt Take Away etwas anbieten. Ansonsten machen wir mit der Familie viel Sport, wir profitieren so sehr wie noch nie von unserem Garten. Wir versuchen, im kleinen Rahmen das Beste aus der Situation zu machen. Der familiäre Zusammenhalt steht an erster Stelle.
Wie geht es Ihnen persönlich?
Michael Suter: Ich vermisse den Handballsport sehr, die Zusammenarbeit mit den Spielern und natürlich auch die Spieler selbst. Das ist aber nicht weiter verwunderlich. Handball hat in den letzten 30 Jahren einen grossen Teil meines Lebens eingenommen. Jetzt ist es das erste Mal in meiner ganzen Karriere als Trainer oder Spieler, dass kein nächster Termin feststeht. Wann ist der nächste Match? Wann das nächste Training? Das habe ich so noch nie erlebt.
Welche Arbeiten kann ein Trainer aus dem «Homeoffice» erledigen?
Michael Suter: Ich versuche natürlich, mit den Spielern in Kontakt zu bleiben. Ich erkundige mich, wie es ihnen geht, wie sie das Ganze erleben. Ich bin so im steten Austausch mit den Nationalspielern und mit den Jungen von der Suisse Handball Academy. Die Spieler aus der Akademie erhalten täglich ein Programm, sie werden so gut es geht professionell unterstützt. Sie haben jetzt sogar eine aussergewöhnliche Chance, an ihren Defiziten zu arbeiten.
Michael Suter, Männer-Nationaltrainer
Wie muss man sich das vorstellen?
Michael Suter: Im normalen Trainingsbetrieb, im «Courant normal», kriegt man eigentlich nie die Chance, um viel Zeit in einzelne Themenfelder zu investieren. Jetzt geht es um Athletik, Beweglichkeit, Koordination, Kraft oder Ausdauer – alles Sachen, die individuell verbessert werden können. Genau in solchen Phasen kann man als topmotivierter junger Spieler mit grossen Zielen auch eine Differenz schaffen gegenüber anderen. Wir bieten dazu seit Anfang des Lockdowns bestmögliche Unterstützung; wir haben schnell reagiert.
Können Sie uns ein Beispiel geben, wie diese Unterstützung aussieht?
Michael Suter: Die jungen Spieler erhalten beispielsweise Videos mit Übungen, kriegen individuell auf sie abgestimmte Aufgaben. Sie müssen uns auch Videos ihrer ausgeführten Übungen zurückschicken. So entsteht eine gute Feedbackkultur, und es erhöht die Selbstständigkeit der Spieler. Ein grosser Dank gilt dabei unseren Athletiktrainern, die richtig gute und fordernde Programme zusammenstellen.
Zur Nationalmannschaft: Eigentlich hatten Sie über Ostern ja einen anderen Plan, als im Garten Eier zu suchen – es wäre ein Lehrgang auf dem Programm gestanden.
Michael Suter: Ja, das Eiersuchen mit der Familie war ursprünglich mal für Samstag geplant. Am Sonntag hätte für uns ein spannender Nationalmannschafts-Lehrgang mit zwei attraktiven Länderspielen in Montenegro begonnen. Wir haben uns sehr auf die Reise mit den zwei Begegnungen gegen einen starken Gegner gefreut.
Wie denkt ein Nationaltrainer in so einer Situation?
Michael Suter: Ich bin natürlich bereits am Planen der neuen Saison, irgendwann wird es weitergehen. Ich gehe davon aus, dass wir die WM-Playoffs gegen Island bestreiten werden. Einen Teil meiner Vorbereitung kann ich also ganz normal machen.
Michael Suter, Männer-Nationaltrainer
Sie sprechen die Termine an. Die EHF hat eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, gemäss der die WM-Playoffs Anfang Juli möglich wären.
Michael Suter: Wir halten uns derzeit selbstverständlich an diese Planung der EHF. Wenn wir Anfang Juli diese Playoffs spielen sollen, heisst das aber auch, dass wir spätestens im Mai wieder Handball spielen müssen. Ansonsten wird das mit der Vorbereitung nicht realistisch sein.
Was halten Sie grundsätzlich vom vorgestellten Plan der EHF?
Michael Suter: Ich würde wahnsinnig gerne vor den Sommerferien nochmal Handball spielen. Wir sind sehr motiviert, wir haben uns sehr auf diese Spiele gegen Island gefreut. Auch wenn wir auf einen starken Gegner treffen, wollen wir uns unbedingt für die WM qualifizieren. Wobei wir hoffen müssen, dass in Anbetracht des Coronavirus im Januar 2021 tatsächlich eine WM gespielt werden kann. Die aktuelle Situation zeigt uns ja gerade auch auf, wie eng getaktet und wie fragil der internationale Kalender mittlerweile ist.
Trotzdem soll es baldmöglichst zurück zu einer gewissen Normalität gehen. Wie wird das im Sport funktionieren?
Michael Suter: Ich denke, das wird stufenweise geschehen. Am Anfang wahrscheinlich ohne Zuschauer oder zumindest mit weniger Zuschauern und klaren Auflagen. Geisterspiele sind im Handball nicht ganz so attraktiv wie im Fussball, weil es bei uns natürlich um deutlich weniger TV-Gelder geht. Wir sind angewiesen auf unsere Community in der Halle. Geisterspiele sind aber auf jeden Fall eine bessere Lösung, als gar nicht zu spielen. Es ist wichtig, dass es mit unserem Sport auch bald weitergeht. Das Wichtigste ist und bleibt aber die Gesundheit.
Apropos gesund: Kann die derzeitige Entwicklung im Spitzensport mit der «Immer höher, weiter, schneller-Mentalität» tatsächlich so weitergehen?
Michael Suter: Es fand in den letzten Jahren eine Maximierung in allen Bereichen statt. Da bin ich als Trainer im Spitzensport genauso ein Teil davon. Wir haben zum Beispiel an der EM im Januar gesehen, wie schön es ist, auf diesem Niveau erfolgreich zu sein. Die Kehrseite zeigte sich in dieser Saison mit zahlreichen Trainerentlassungen, unter anderem in der Bundesliga, kurz bevor die Coronakrise ausbrach. Durch die aktuelle Situation zeigt sich nun aber deutlich, dass es Sachen gibt auf der Welt, die viel wichtiger sind als das.
Michael Suter, Männer-Nationaltrainer
Glauben Sie, dass sich an der Mentalität durch die Coronakrise etwas verändern wird?
Michael Suter: Ja, das glaube ich. Es wird danach ein neues 'Normal' geben. Es wird nicht mehr gleich sein wie vorher. Ich glaube, wir haben die Möglichkeit, die neue Realität selbst zu gestalten. Es ist der Moment, um gewisse Sachen neu einzuordnen. Wir haben jetzt viel Zeit um Nachzudenken, und diese Zeit sollten wir auch nutzen. Zum Beispiel: Müssen wir wirklich – angeleitet von «Influencern» – mit dem Selfiestick in jede auch noch so abgelegene Destination auf der Welt rennen? Oder: Sind hunderttausend Tonnen schwere Kreuzfahrtschiffe, die mitten in Venedig anlegen, damit Touristen 30 Minuten lang einkaufen können, tatsächlich zu Ende gedacht? Oder ein ganz anderes Beispiel: Lehrerinnen und Lehrer standen in den letzten Jahren immer mehr in der Kritik. Jetzt erkennen grad viele Menschen, welchen fordernden und wertvollen Beruf diese Personen tagtäglich ausüben. Es entsteht wieder ein ganz neues Verständnis, ein neuer Respekt.
Das Werteverständnis könnte sich also neu definieren.
Michael Suter: Ich bin sicher, dass gerade der Sport seine Vorbildrolle wieder verstärkt wahrnehmen kann. Zum Beispiel Handball: Wir kämpfen zwar auf dem Feld gegeneinander, aber wir wissen, dass wir zusammenhalten müssen, weil wir nur gemeinsam etwas bewegen können. Nach Corona müssen wir genau diese Werte und den gegenseitigen Respekt wieder in den Vordergrund stellen. Solche Gedanken geben mir auch die Hoffnung für die Zukunft und für allgemein für unsere Sportart.
Was machen Sie nach dem Lockdown als erstes, wenn die Massnahmen aufgehoben werden?
Michael Suter: Dann gehe ich zum Coiffeur. Ich hatte eigentlich am 13. März einen Termin. Entsprechend lang sind meine Haare bereits geworden.
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