Nationalteam Frauen • 02.11.2022
Seit Sommer spielen Kerstin Kündig (Viborg) und Chantal Wick (Ajax Kopenhagen) in Dänemark. Im Camp der Schweizer Nati im spanischen Torrevieja sprechen die beiden wenige Tage vor EM-Start über das Abenteuer «EHF EURO 2022», ihr neues Leben in Skandinavien und verraten, wer die bessere Jasserin ist. Das Gespräch mit den beiden «Däninnen» gibt es in voller Länge auch im Video.
Seit Sommer spielt ihr in Dänemark, jetzt schwitzen wir hier unter Palmen in Südspanien um die letzten paar Prozente für die EM-Teilnahme herauszuholen. Temperaturschock schon verdaut?
Chantal Wick: Das ist eine schöne Abwechslung zu Dänemark, wo die Sonne nicht so oft scheint. Mir gefällt es ganz gut hier.
Kerstin Kündig: Der Sommer in Dänemark war schön. Aber seit der Herbst nun wirklich Herbst ist, ist das kein Vergleich zum spanischen Wetter mehr.
Die Schweiz hat in Torrevieja viele Treffer erzielt und unter anderem einen Tor-Rekord aufgestellt. Wie fällt die Turnier-Bilanz der Spielmacherin aus?
Kerstin Kündig: Die 41 Tore wären ohne unsere blitzschnellen Flügelspielerinnen nicht möglich gewesen. Kompliment! Sowohl durch die schnelle Mitte wie auch bei normalen Gegenstössen liefen sie zu Hochform auf, gepaart mit einer starken Abschlussquote. Wie schon an der Golden League, zeigten wir aber auch hier in Spanien, dass wir im Angriff im 6 gegen 6 und 7 gegen 6 reelle Chancen haben. Wir können gegen Teams wie Norwegen nun 25 Tore schiessen. Das wäre früher nie möglich gewesen. Das spiegelt die Entwicklung im Schweizer Handball in den letzten Jahren wieder und darauf dürfen wir stolz sein.
Und jene der Abwehrspezialistin?
Chantal Wick: Die Gegnerinnen haben sich von Tag zu Tag gesteigert, das war perfekt für uns. In der Abwehr haben wir generell einen guten Job gemacht, allerdings nicht immer über die vollen 60 Minuten. Das Tunesien-Spiel war geprägt von schnellen Angriffen, da erhält man auch mal ein Gegentor mehr. Der schnelle Handball der Spanierinnen war eine grosse Herausforderung, wir haben aber viel gelernt und einen Schritt nach vorne gemacht.
Jetzt geht es nur noch wenige Tage bzw. Stunden bis zum ersten Spiel. Wie gross sind Vorfreude aber auch Nervosität auf einer Skala von 1-10?
Chantal Wick: (lacht) 10! Ich bin eine relativ ruhige Person und bislang noch entspannt. Ich versuche Tag für Tag zu nehmen und so die Spannung aufzubauen. So möchte ich auch verhindern, dass Hektik aufkommt.
Kerstin Kündig: Die Vorfreude ist definitiv riesig. Je mehr wir uns nun aber auf Ungarn und somit den Freitag vorbereiten, desto mehr wächst auch die Anspannung. Mit jedem Training und jeder Taktik-Sitzung wird das Abenteuer realer. So steigt das Kribbeln im Bauch und die Motivation, am Freitag abliefern zu wollen.
Chantal Wick: Ich bin sicher: Sobald wir in Slowenien eintreffen, merken wir, dass es jetzt ernst gilt. Zweimal schlafen und es geht los!
Springen wir kurz in eure neue Heimat Dänemark. Habt ihr euch gut eingelebt am neuen Arbeitsort?
Chantal Wick: Ich habe mich sehr gut eingelebt. Die Stimmung bei Ajax ist super und die Mädels haben mich – die Schweizer Exotin – sehr gut aufgenommen. Kopenhagen ist auch neben dem Handball eine schöne Stadt. Wir ist es bei dir, Kerstin?
Kerstin Kündig: Auch ich bin in Viborg als einzige Nicht-Skandinavierin Exotin. Am Anfang war das doch eine sprachliche Herausforderung. Die dänische Sprache im Training und vor allem beim Timeout zu verstehen, ist doch eine Hürde. In der Zwischenzeit verstehe ich Dänisch aber schon sehr gut. Das hilft natürlich auch in der Kabine und ich fühle mich jeden Tag mehr heimisch in Viborg.
Und wie läufts sportlich? Chantal, du hattest noch mit einer Verletzung zu kämpfen und du konntest das Direktduell gegen Kerstin nicht spielen. Ohne dich hat Ajax gegen Viborg klar verloren. Wäre es mit dir anders ausgegangen?
Chantal Wick: Wer weiss. Vielleicht hätten wir dann nicht so deutlich verloren? Die Verletzungs-Geschichte war aber definitiv unglücklich. Es ist übrigens ausgerechnet an einem Vorbereitungsturnier in Viborg passiert. Zum Glück konnte ich an der Golden League spielen und habe nun auch mit Ajax meine ersten Partien gemacht. Als Team ist uns der Saisonstart aber geglückt. Nun möchten wir nach der EM noch einen Gang hochschalten.
Kerstin Kündig: Menschlich wurde ich sehr gut ins Team aufgenommen. Als Spielmacherin muss man sich auch an das System des für mich neuen Trainers gewöhnen. Der Handball in Dänemark ist doch schneller und weniger körperbetont als in Deutschland. Die Absprachen im Angriffsspiel müssen einstudiert werden, das hat seine Zeit gedauert. Nun aber habe ich meine Rolle gefunden.
Zwei Schweizerinnen in Dänemark – seht ihr euch abseits der Halle regelmässig im hohen Norden?
Chantal Wick: Regelmässig sehen wir uns leider nicht, so nahe sind Viborg und Kopenhagen doch auch nicht gelegen. An unserem nächsten freien Wochenende ist aber ein gemeinsamer Ausflug geplant. Ich möchte sehen, wie Kerstin in Viborg lebt. Und: Ab und zu wird Kerstin über Kopenhagen fliegen, dann sehen wir uns vielleicht.
In der Nati seid ihr als leidenschaftliche Jasserinnen bekannt. Wer springt in Dänemark ein?
Kerstin Kündig: Ich habe es schon in Deutschland versucht. Aber nur schon die Jass-Regeln und Begriffe auf Hochdeutsch zu erklären, ist eine Herausforderung. «Von oben nach unten und von unten nach oben» - das sorgte immer für Gelächter. Ich werde es auch darum nicht versuchen in die dänische Kultur einzubauen, sondern spiele dort andere Gesellschaftsspiele. Dafür geniesse ich das Jassen umso mehr hier in der Nati, mit der Familie oder mit Freunden.
Chantal Wick: Ich habe jetzt auch nicht allzu viel Hoffnung, dass wir bei Ajax bald alle zusammen einen Jass klopfen. Ich kenne aber Schweizerinnen in Kopenhagen, vielleicht gibt es da mal einen Jass-Abend. Ansonsten haben wir in der Nati ja einen Jass-Alarm. Wichtig zu wissen ist, dass Manu Brütsch hier meine Jass-Partnerin seit Tag 1 ist und wir sehr erfolgreich sind, oder Kerstin?
Kerstin Kündig: Ich gebe es ungern zu, aber im Jassen muss ich mich ab und zu geschlagen geben.
Wie stehts um eure Dänisch-Kenntnisse? Wer spricht besser?
Chantal Wick: Das wird zum jetzigen Zeitpunkt wohl noch Kerstin sein.
Kerstin Kündig: Ich kann mich schon problemlos auf Dänisch verständigen. Ich kann es reden, verstehen und TV-Serien auf Dänisch gucken. Nur am Vokabular muss ich noch ein wenig arbeiten.
Chantal Wick: Das Handball-Vokabular verstehe ich schon sehr gut. Ansonsten bin ich fleissig in der Sprachschule.
Zurück zum EM-Abenteuer. Spürt ihr die Vorfreude auch in eurem Umfeld? Wie nehmt ihr den einen allfälligen Rummel wahr?
Kerstin Kündig: Ich versuche das Ganze wie einen normalen Nati-Lehrgang anzugehen. Ich melde mich nicht mehr bei Familie oder Freunden. Und in meinem Umfeld ist auch noch niemand richtig nervös. Aber ich will das auch dämpfen und mich auf den Handball konzentrieren.
Chantal Wick: Ich sehe es genau gleich wie Kerstin und will mich möglichst wenig ablenken lassen. Natürlich kann es sein, dass es, wenn die EM mal begonnen hat, mehr Reaktionen als normal geben wird.
Was liegt für die Schweiz sportlich drin?
Kerstin Kündig: Wenn wir es schaffen, unseren Game-Plan über die vollen 60 Minuten durchzuziehen, liegt sehr viel drin – zumindest gegen Ungarn und Kroatien. Ein Sieg ist möglich.
Chantal Wick: Als Sportlerin möchtest du immer gewinnen. Aber natürlich sind wir die Aussenseiterinnen. Der Druck von aussen ist dementsprechend nicht so gross und das kann unsere Chance sein. Selber haben wir Ansprüche. Ich will einfach das Maximum herausholen, am Schluss auf die Anzeigetafel schauen und dann sehen wir, was passiert ist.
Was muss an der EURO passieren, damit ihr am Ende von einer guten Kampagne spricht?
Chantal Wick: Ich schaue von Spiel zu Spiel. Am Ende möchte ich sagen können, dass wir alles reingeworfen haben.
Kerstin Kündig: Wir haben ein super junges Team. Es ist die erste Teilnahme eines Frauen-Nationalteams. Das hat vor uns noch niemand geschafft! Diese Ausgangslage müssen wir zu unserem Vorteil nutzen. Wir haben hart an uns gearbeitet. Jetzt wollen wir den Plan von unserem Trainer ab Freitag bis zum letzten Spiel einfach umsetzen. Wenn wir das schaffen, fliege ich nach Hause und sage mir: Das war cool!
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