Albertsen im Abschieds-Interview: «Auf diese jungen Frauen muss man bauen»

Nationalteam Frauen  •  21.07.2023

Martin Albertsen, U20-Nationaltrainer, an seinem letzten "Schweizer" Spiel gegen Montenegro.

Der Aufschwung im Schweizer Frauen-Handball hängt eng mit dem Namen Martin Albertsen zusammen. Nach fünf Jahren als A-Nationaltrainer, Cheftrainer Akademie und U20-Nationaltrainer ist am vergangenen Wochenende an der U19-EM in Rumänien seine letzte «Schweizer» Mission zu Ende gegangen. Das Abschiedsinterview.

Kopenhagen – Pitiresti – Budapest. Erfolgscoach Martin Albertsen ist in diesem Handball-Sommer ständig auf Achse. Vor rund drei Wochen verliess er seine Heimat Dänemark in Richtung Rumänien, beendete dort die U19-EM mit der Schweiz inklusive Vorbereitungsturnier auf dem 7. Platz ehe er direkt nach Ungarn, Heimat seines neuen Vereins Ferencvaros Budapest, weiterreiste. Handball.ch erreicht Albertsen am Dienstagmittag am Telefon. Die Erinnerungen an intensive letzte Wochen mit der U19 sind noch frisch.

 

Martin Albertsen, hast Du dich in deiner neuen Heimat schon gut eingelebt?
Martin Albertsen: Ich sitze hier gerade in einem Café 100 Meter von meiner neuen Wohnung entfernt. Die ersten Termine bei Ferencvaros sind bereits durch, ich bin aber noch ein wenig müde. Nach dem tollen Ergebnis an der U19- EM in Rumänien haben wir noch ein bisschen gefeiert. Es war ein emotionaler Schluss und ich habe nicht viel geschlafen in den letzten Tagen (lacht).

Nach fünf Jahren beim Schweizer Verband hast du mit Abschlussrang 7 an der U19-EM noch einmal für ein Ausrufezeichen gesorgt. Was ging dir am Sonntag in Pitiresti nach dem Sieg über Montenegro an der Seitenlinie durch den Kopf?
Es war für mich sehr emotional – und auch für die Mädels. Wir hatten eine schöne Zeit. Dass wir es zum Schluss noch einmal schafften gegen einen starken Gegner ein super Spiel abzuliefern und zu gewinnen, macht das Ganze noch schöner. Ich dachte in diesem Moment aber auch an Emma Bächtiger. Nach einer schweren Knie-Verletzung hat sie es knapp nicht an die EM geschafft. Das ist sehr schade. Emma gehört zu diesem Team wie alle andern.  

Trotz deinem Wechsel zu Budapest bist du noch einmal an die U20-EM gereist. Es war für dich immer klar, dass du diese letzte Aufgabe übernehmen wirst, oder?
Klar. Nur schon, weil wir in der Akademie lange auf dieses Turnier hingearbeitet haben (insgesamt waren acht Akademie-Spielerinnen in Rumänien mit dabei, die Red.). Nun ist uns sogar der perfekte Abschluss gelungen. Dafür haben wir in den vergangenen Jahren hart gearbeitet. Und das trotz Pechsträhne! Erst fehlte uns Nuria Bucher mit einer Hirnerschütterung, dann Claire Hartz. Das sind neben Emma zwei weitere absolute Schlüsselspielerinnen.

Das Team hat diesen Widrigkeiten getrotzt. Auch, weil der Glaube an die eigene Stärke vorhanden war? Bei deinem Amtsantritt vor fünf Jahren hast du gesagt, dass in der Schweiz genau dieser Glaube fehle. Hat sich das geändert?
Die ganze U20 hat ein Video für mich gedreht. Jede Spielerin bedankt sich da, sagt, was sie in den vergangenen Jahren gelernt hat. Alle haben nun grosse Ziele, wollen ins Ausland! Diese junge Generation möchte ihre handballerischen Grenzen ausloten und herausfinden, wie weit sie mit ihrem Talent kommt. Das macht mir riesige Freude und zeigt, dass sie an sich glauben.

Das gilt auch für die Spielerinnen der A-Nationalmannschaft.
Natürlich! Früher sagten viele talentierten Spielerinnen in der Schweiz zu früh «Stop», hatten keine grossen sportliche Ziele. Jetzt wechselt Tabea Schmid zu Kopenhagen. Mia Emmenegger hat eine grosse Zukunft vor sich und Malin Altherr weiss endlich, wie gut sie ist. Das sind nur drei Beispiele. Und es gilt auch für die «älteren» Spielerinnen. Eine Kerstin Kündig oder Chantal Wick haben sich in den vergangenen Jahren noch einmal sehr gesteigert. Weil sie an sich glauben!

Bleiben wir beim A-Team. Unter deiner Ägide hat die Schweiz eine WM-Teilnahme in den Playoffs knapp verpasst, dafür gelang eine erste – historische – EM-Teilnahme. Hättest du eine solche Bilanz vor fünf Jahren unterschrieben?
Hätte ich im Sommer 2018 gesagt, dass ich mit der Schweiz an die EM 2022 möchte, wäre ich als Idiot bezeichnet worden. Das zeigt ziemlich gut, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. 2018 dachte niemand an eine Endrunden-Teilnahme. Hier muss ich aber die Spielerinnen loben. Es ist beeindruckend, wie die teilweise Gas gegeben und auf internationaler Bühne performt haben. Das hätte ich selbst nicht gedacht.

Deine Arbeit als Nationaltrainer war eng mit jener als Akademie-Trainer der CONCORDIA Frauen-Akademie im OYM verbunden. Zahlreiche Talente hast Du ins A-Team eingebaut. Ist das auch der Weg für die Zukunft?
Die Akademie-Spielerinnen sind die Zukunft des Schweizer Frauen-Handballs. Dank diesem Akademie-Gefäss steigt die Qualität im Training enorm. In dieser Gruppe entsteht ein neues Level – technisch, taktisch, mental. Ich weiss, mit Einführung der Akademie haben sich für die Klubs ein paar Dinge geändert. Aber das ist der Weg an die internationale Spitze. Andere Nationen tun es auch und ernten ebenfalls Früchte, beispielsweise Portugal an dieser U19-EM. Es ist mein Wunsch, dass dieses erfolgreiche Konzept in der Schweiz weitergeführt wird.

Mit Norma Goldmann und Alessia Riner wechseln die ersten Akademie-Spielerinnen diesen Sommer in die Bundesliga. Bist du stolz?
Ich bin mega stolz auf die beiden. Im August 2020, als wir im OYM loslegten, sagte ich: Wenn wir hier jeden Tag erfolgreich zusammenarbeiten, schafft ihr den Sprung in eine grosse Liga. Dass das nun so gekommen ist, dass es aufgegangen ist, macht mir unheimlich stolz. Auch wenn es einer gewissen Logik entspricht. Zudem bin ich überzeugt, dass weitere Spielerinnen diesen Sprung schaffen werden. Keine Sorge. Nach der EM in Slowenien haben sich zahlreiche Clubs bei mir nach unseren Spielerinnen erkundigt.

Was war dein persönliches Highlight in fünf Jahren Schweizer Frauen-Handball? 
Ich komme grad von der U19-EM in Rumänien. Momentan ist es dieses Turnier und der emotionale Abschluss. Aber natürlich zählen da auch die Leistungen mit der A-Nationalmannschaft dazu. Der Sieg gegen Litauen und die EM-Qualifikation vor toller Kulisse in Bern. Die EM in Slowenien, an welcher wir gegen Kroatien einen Punkt holten und Ungarn bis zum Ende forderten. Da fiel bei mir ein grosser Druck ab. Denn vor dem Turnier hiess es hinter vorgehaltener Hand: Was macht dieser Mann? Warum bietet er ein solch junges Team auf? Nach diesen Partien war klar: Die besten Spielerinnen haben die Schweiz an der EM vertreten.

Wie wirst du den Schweizer Handball in Zukunft verfolgen?
Der Schweizer Handball bleibt für mich ein Herzensprojekt, das ich nach wie vor eng verfolgen werde. Möchten die Spielerinnen einen Rat von mir für ihre Karriere, gebe ich diesen auch in Zukunft. Das mache ich gerne.

Transferierst du jetzt «deine eigenen Talente» von der Schweiz zu Ferencvaros Budapest?
Das könnte sein – aber nur wenn sie sich weiterentwickeln (lacht). Ich möchte nun auch in Budapest etwas Nachhaltiges aufbauen, wir wollen auch in Zukunft eine gute Adresse sein für Handballerinnen, die Champions League spielen.

Abschlussfrage: Was traust du der Schweiz an der EM zu?
Ich möchte mich nicht auf einen Abschlussrang festlegen. Das Wichtigste ist für mich, dass man auch in Zukunft konsequent auf diese jungen Frauen baut und geduldig bleibt. Bis zur internationalen Spitze müssen sie noch einen Schritt gehen und das ist der wohl schwierigste. Wenn Vereine, Akademie, Nationalmannschaft und erfahrene Spielerinnen im Ausland sich aber gegenseitig unterstützen, dann kommt es gut mit dem Schweizer Frauen-Handball – und mit der Heim-EM.

Albertsen's Trainer-Stationen

Martin Albertsen (49) übernahm 2018 den Cheftrainer-Posten der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft. Der Däne kam vom deutschen Erfolgsverein SG BBM Bietigheim mit dem Auftrag, neue Impulse zu setzen und das Frauen Nationalteam sowie die 2020 eröffnete Handball-Akademie weiterzuentwickeln. Vorher war er in Viborg, Randers und Leipzig engagiert.

Als A-Nationaltrainer führte er die Schweiz zunächst wieder zu Siegen in den Qualifikationsphasen, im Frühjahr 2021 schnupperte es gegen Tschechien gar an der erstmaligen WM-Teilnahme. Ein Jahr später gelang den Schweizerinnen die Teilnahme an der EHF EURO 2022, an welcher man - als Aussenseiterin gestartet - einen historischen Punkt gegen Kroatien holte und das Turnier auf Rang 14 abschloss. Zahlreiche Akademie-Spielerinnen schafften unter seiner Führung den Sprung ins Nationalteam und in ausländische Clubs. Mit der U19-EM schliesst Martin Albertsen seine Aufbau-Arbeit mit dem beeindruckenden 7. Platz ab.

Albertsen führt seine Trainer-Karriere in Ungarn beim Champions League Finalisten Ferencvaros Budapest fort. Auch der bisherige Assistenz-Coach in der Frauen-Nationalmannschaft, Allan Heine, folgt Albertsen zu Ferencvaros.

Quelle: Raphael Bischof (Text), EHF (Foto)

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