Week of the Referee: «Brauchen 100 weitere Schiedsrichter»

Handball Schweiz  •  19.10.2023

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Diese Woche findet die «Week of the Referee» in der Schweizer Sportwelt statt. Gemeinsam mit sechs anderen Sportverbänden sowie Swiss Olympic und Cool & Clean setzt sich der Schweizerische Handball-Verband (SHV) für mehr Respekt und Fairness gegenüber den Unparteiischen ein. Vor kurzem beschrieb Stefan Bartholet vom HC Rover Wittenbach seinen Schiri-Alltag (Artikel des St. Galler Tagblatts). Und im Interview erzählt der SR-Verantwortliche Stephan Summ, wie es um die Unparteiischen im Schweizer Handball steht.

Schiri werden

Die Aufgaben der Unparteiischen reizen dich? Du möchtest dem Handballsport «etwas zurückgeben», deinen Verein unterstützen und gleichzeitig wertvolle Skills für deine berufliche Laufbahn mitnehmen? Melde dich als SR-Aspirant*in beim SHV und erfahre, wie die Ausbildung abläuft und welche Aufgaben und Vorteile dich erwarten. 

Stephan Summ: "Brauchen hundert weitere Unparteiische"

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Im Jahresbericht 2022/23 beschreibt der Schiri-Verantwortliche Stephan Summ eine doch kritische Lage: Seit der Coronapandemie habe der Schweizer Handball rund hundert Unparteiische verloren – manche Schiedsrichter*innen leisteten letzte Saison bis zu vier Einsätze pro Spieltag, um einen reibungslosen Spielbetrieb zu gewährleisten. Damit steht der SHV nicht allein da – viele Sportverbände und -vereine verfügen über zu wenig Unparteiische. Was die Abteilung Schiedsrichter dagegen unternimmt, welche Lichtblicke er sieht und was sich hinter der Plattform «moodle» versteckt, erklärt der 52-Jährige im Rahmen der «Week of the Referee».

Stephan, wie gross ist die Gefahr, dass über kurz oder lang nicht mehr genügend Unparteiische zur Verfügung stehen, um alle Handballspiele in der Schweiz abzudecken?
Das ist natürlich eine Situation, die wir mit allen Mitteln verhindern werden. Wir haben bereits heute einzelne Spieltage, an denen mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen – etwa die Samstagnachmittage von 14 bis 18 Uhr, verbunden mit Sperrdaten der Schiedsrichter. Für solche Extremfälle kann die Abteilung Spielbetrieb nun Matches verlegen, um den Spielplan etwas zu entzerren. Zusätzlich haben die Einsatzleiter die Option, Spiele, die normalerweise im Paar gepfiffen werden, nur mit Einzelschiedsrichtern zu besetzen. Mit diesen Massnahmen schaffen wir Reserven.

Was sind die Hauptgründe, warum Handball-Schiedsrichter das Amt aufgeben?
Generell stellen wir zunächst fest, dass viele unserer Unparteiischen ihrem Amt und dem Sport sehr lange treu bleiben. Die meisten Schiedsrichter*innen hören nach langjährigem Engagement aus Altergründen auf. Dass wir derzeit ein grösseres Manko haben, liegt an einer ungünstigen Altersstruktur. Gleichzeitig haben wir mit der Pandemie mehr Austritte verzeichnet, als regelmässige Einsätze fehlten und sicher auch andere Freizeitbeschäftigungen aufgenommen wurden. Als weiteren Grund machen wir berufliche Veränderungen – und damit nicht selten ein neuer Wohnsitz, geringere Flexibilität oder andere Familienverhältnisse – aus. 

Die Vereine sind verantwortlich dafür, dass genügend Schiedsrichter – und Schiedsrichterinnen – ausgebildet und aktiv sind. Wie steht es um das Bewusstsein auf Vereinsebene, siehst du hier einen Lichtblick?
Ja, hier gibt es viele Lichtblicke, die Vereine sind im Ganzen gesehen sehr aktiv – dafür mein herzlicher Dank an alle Vereine und Ehrenamtliche! Im Moment befinden sich 105 Personen als sogenannte Aspirantinnen und Aspiranten in unserem Ausbildungsprogramm. Diese Zahl ist absolut ermutigend! Zudem stehen wir mit vielen Vereinen im regelmässigen Kontakt, tauschen Idee aus und starten gemeinsam Projekte, sei es bei der SR-Rekrutierung oder bei der Ausbildung und Begleitung von Spielleiter*innen. Diese leiten an Kinderhandball-Spieltagen die Matches ihres Vereins und sammeln so erste Erfahrungen in der Rolle.

Kannst du konkrete Beispiele nennen?
Zu Saisonbeginn sind mehrere Initiativen auf Vereinsbasis lanciert worden. Die PSG Lyss hat anfangs September ihre Mitglieder zu einem Infoabend eingeladen, an dem wir von der Abteilung Schiedsrichter für das Schiri-Amt geworben haben. Neben dem zuständigen Gebietsverantworlichen Mikail Oezkilic war auch der Spitzen-Schiedsrichter Simon Meier vor Ort. Als Ergebnis gab es an diesem Abend fünf neue Anmeldungen zur Schiedsrichter-Ausbildung. Die zweite Veranstaltung fand in St. Gallen im Rahmen des Stadtwerkcups statt. Dabei bekamen Nachwuchsspielerinnen des LC Brühl direkt die Gelegenheit, an einem Plauschturnier dem Umgang mit der Pfeife zu üben. Geleitet hat diesen Workshop Linus Hardegger, und auch hier sind zahlreiche neue Anmeldungen erfolgt.

LC Brühl Spielleiterinnen Initiative

Trotz dieser positiven Signale bleibt das Thema «Respekt gegenüber Referees» präsent. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass der Umgang unter allen Beteiligten aggressiver geworden ist, wie du es im Jahresbericht formulierst?
Unsere, vornehmlich im Leistungsbereich aktiven Schiedsrichter*innen spüren deutlich, dass der Druck und Kritik an ihren Entscheidungen zunimmt und teils auch unsachlicher wird. Das führt zu Frust für alle Teilnehmenden auf und neben dem Feld. Dies ist im Vergleich zu anderen Sportarten aber – leider – keine Ausnahme, sondern den Veränderungen in der Gesellschaft geschuldet. Grundsätzlich halten wir aber auch fest, dass Übergriffigkeiten gegenüber Schiedsrichtern die absolute Ausnahme sind.

Was tut der Verband, um unschöne Szenen rund um die Spielleitung zu vermeiden?
Wir können Veränderungen in der Gesellschaft nicht aufhalten oder verändern. Uns bleibt aber als Chance, unsere Funktionäre und die übrigen Beteiligten bereits im Vorfeld durch Informieren und Aufklären auf solche Situationen vorzubereiten und diese damit direkt zu entschärfen. Hier schaffen wir mit verschiedenen Kommunikationsmitteln, etwa dem seit letzter Saison bestehenden Regel-Forum, eine besser Informationsbasis. Mit den Schiedsrichtern und Delegierten im Spitzenbereich arbeiten wir zudem individuell an Spielvor- und Nachbereitungen. 

Diese Möglichkeiten bestehen hingegen im Breitensport weniger oder teils gar nicht.
Richtig, in diesem Sinne ist die Lage im Breitensport tendenziell gefährlicher: Mit der Anzahl an Spielen und der viel grösseren Teilnehmerzahl steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines tätlichen Vorfalls. Auch hier versuchen wir aber, Situationen vorauszuahnen und zu entschärfen. Ausserdem setzen wir auch im Breitensport darauf, dass die Qualität und das Selbstvertrauen der Unparteiischen über unsere Weiterbildungsangebote gestärkt werden. Denn Entscheidungen zu treffen und souverän zu verkaufen oder in schwierigen Situationen den kühlen Kopf zu behalten, kann man gezielt lernen und trainieren. 

Hier setzt der SHV seit 2022 auf neue Online-Modelle. Was versteckt sich konkret hinter der Qualitätssicherung und der Selbstlernplattform «moodle»?
«Moodle» heisst unser neues und laufend wachsendes E-Learning-Medium. Auf dieser Online-Plattform bilden sich die Schiedsrichter laufend weiter und erreichen nach Abschluss einer gewissen Anzahl von Lektionen die nächste Lizenzstufe, so wie es bei Trainer*innen schon lange der Fall ist. Wir peilen ein Angebot mit circa 50 Modulen für Schiedsrichter*innen in drei verschiedenen Stärke-Leveln, vom Anfänger bis zum Spitzenschiedsrichter, an. Da gibt es zum Beispiel taktische Lektionen übers Stossen, oder didaktische Felder wie Konfliktmanagement. Bislang sind 15 Module online, zum Jahresende werden es 40 sein. «Moodle» ersetzt aber nicht die üblichen Sommer-Kurse, sondern ergänzt die bisherige Weiterbildung in eine moderne und stärker individualisierte Richtung.

Du bist seit rund anderthalb Jahren für die Abteilung SR verantwortlich und seit über 35 Jahren im Schiedsrichterbereich engagiert. Gibt es noch etwas, das dich überrascht? Und welche sind deine Ziele für diese Saison?
Es gibt im Handball eigentlich nichts mehr, das mich überraschen würde, nein. Aber ich bin immer wieder fasziniert, mit wieviel Engagement unsere Ehrenamtlichen im Bereich Schiedsrichter tätig sind. Die Einsatzleiter leisten hunderte Stunden pro Saison ohne Entschädigung, um den Spielbetrieb zu sichern. Die Gebietsverantwortlichen stehen im täglichen Kontakt mit den Vereinen und Aspiranten, um eine exzellente und nachhaltige Ausbildung zu bieten.
Zum einen wollen wir auch diese Saison gute Leistungen von unseren Referees sehen. Genauso wichtig ist aber auch, den Bestand der Schiedsrichter stetig aufzufüllen, um wieder das Vor-Corona-Niveau zu erreichen. Dafür brauchen wir aber noch rund hundert weitere Anmeldungen.

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Zur Person

Stephan Summ, 52, begann seine Laufbahn als Schiedsrichter im Alter von 15 Jahren und beendete sie 2022 nach 35 Jahren. In dieser Zeit leitete er über 2500 Handballspiele. Mit 18 Jahren startete er auch als Verbandsfunktionär und wurde im südbadischen Handballverband Einsatzleiter für knapp 100 Schiedsrichter. Im Jahr 2000 wechselte er zum Schweizerischen Handball-Verband und übernahm zunächst regional als SR-Chef der Nordwestschweiz, nach 2016 auch zentralisiert die Verantwortung des Einsatzbereichs und der SR-Ausbildung.

Linus Hardegger: "Es sind kleine Gesten, die Freude bereiten"

Ein Dankeschön, ein Kompliment, ein gemeinsames Ziel: Freude am Sport. So sieht Wertschätzung im Handballsport für Linus Hardegger aus. Mit seinem Bruder und SR-Partner Simon sammelt der 22-Jährige bereits Erfahrungen auf europäischer Ebene, die beiden Referees sind seit letzter Saison Teil des Förderprogramms EHF-YRP. Was seine weiteren Ziele sind und welche Herausforderungen er zu Beginn seiner Schiri-Karriere meistern musste, hatte Linus Hardegger anfangs 2022 als neuer Leiter SR Breite-Leistung des SHV, auf handball.ch erzählt. 

Porträt Linus Hardegger von Januar 2022

Stefan Bartholet: "Emotionen gehören dazu"

Stefan Bartholet Zvg

«Emotionen gehören dazu. Doch sie sollen in einem gesunden Rahmen bleiben.» Das sagte der 46-jährige Stefan Bartholet kürzlich dem St. Galler Tagblatt. In einer Reportage über Amateur-Schiedsrichter stellte die Zeitung die Frage: «Sündenböcke oder stille Helden?» Der ganze Bericht wurde handball.ch freundlicherweise im Rahmen der «Week of the Refee» zur Verfügung gestellt (Link unten).

Der Präsident des HC Rover Wittenbach fügt hinzu, dass der Handball in der Ausbildung und Betreuung von neuen Schiedsrichter*innen auf einem guten Weg sei. Er selbst steht der «Week of the Refee» eher kritisch gegenüber, die Aufmerksamkeit für Schiedsrichter sei jeweils nur von kurzer Dauer. Seiner Meinung nach sollten Unparteiische auch selbstkritisch ihre Leistung bewerten und hinterfragen, denn: «Unsere Aufgabe ist es, Leitplanken zu setzen und durch eine möglichst gute Spielleitung unsere Akzeptanz zu steigern.» 

Auf Social Media

Die «Week of the Referee» findet einerseits auf den Spielfeldern, andererseits auch in den sozialen Netzwerken statt. Die Handballvereine der Schweiz haben dafür Bildmaterial erhalten und können auch mit eigenen Videos und Bildern für ihre Unparteiischen werben und sich bei ihnen bedanken – etwa wie der LC Brühl (Reel unten) oder Yellow Winterthur. Danke an alle Vereine, die sich an der Kampagne beteiligen!

Worum geht es

Neben dem SHV engagieren sich auch Swiss Volley, Swiss Basketball, Swiss Unihockey, Swiss Hockey, Swiss Badminton und neu der Schweizerischen Fussballverband für mehr Respekt gegenüber Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern. Zusammen mit dem Präventionsprogramm «cool and clean» von Swiss Olympic wollen sich die Verbände bei den Unparteiischen für ihr Engagement bedanken und Zuschauer*innen und Spieler*innen daran erinnern, dass faires Verhalten ihnen gegenüber sowohl im als auch neben dem Sport wichtig ist. 

No referee, no game

Während der «Week of the Referee» vom 14. bis 22. Oktober 2023 wollen wir unsere Unparteiischen in den Vordergrund rücken, denn nur dank ihrem meist ehrenamtlichen Einsatz können Spiele überhaupt durchgeführt werden. Wir sagen DANKE mit einem herzlichen Applaus beim Einlauf des Schiris auf das Spielfeld.

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RESPECT REFEREE bedeutet, ...

... dass auch die Schiedsrichter*innen Fehler machen dürfen. Sie sind auch nur Menschen und müssen innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden.

… dass wir uns bei umstrittenen Situationen nicht von unserer Leistung ablenken lassen. Emotionen gehören zum Sport, emotionale Reaktionen sollen aber nie verletzen.

… dass wir Entscheide der Schiedsrichter*innen nicht kritisieren oder kommentieren. Nur unser*e Captain spricht während des Spiels mit ihr oder ihm.

… dass sich alle Spieler*innen nach dem Schlusspfiff bei den Schiedsrichter*innen bedanken. Sie lieben den Sport genauso wie wir und machen ihre Arbeit oft ehrenamtlich.

Quelle: Carolin Thevenin (Text), Muriel Fiechter Oberholzer (Übersetzung), Martin Deuring (Bild)

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Der SHV ist der nationale Fachverband und das Kompetenzzentrum für den Handballsport in der Schweiz.
Der SHV ist Mitglied von Swiss Olympic sowie des Weltverbands IHF und der Europäischen Handball Föderation EHF.

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