Nationalteam Männer • 20.01.2023
Sie wuchsen in der nicht als Handball-Hochburg bekannten Romandie auf, schoben mit ihrem Vater nach den Trainings Extra-Schichten, gingen nach Chambéry (FRA) und Schaffhausen und standen jüngst für die A-Nationalmannschaft gemeinsam auf dem Feld. Der Weg der Handball-Zwillingsbrüder Mehdi und Sadok Ben Romdhane (21) ist bemerkenswert.
Freitagabend, 6. Januar 2023. Am Yellow Cup zwischen der Schweiz und Japan sind 16 Minuten und 42 Sekunden gespielt, als Nationaltrainer Michael Suter einen Blockwechsel vornimmt. Die rechte Rückraum-Position nimmt nun der Mann mit der Nummer 38 ein, ein Name fehlt auf seinem Shirt.
Diesen Namen aber dürfen sich die Schweizer Handball-Fans getrost merken – oder kennen ihn schon. Sadok Ben Romdhane ist gemäss Suter «einer der talentiertesten Linkshänder im Land» und der Zwillingsbruder von Mehdi, der nach diesem Blockwechsel in der 17. Minute im Rückraum links spielt.
«Für mich ist es eine grosse Ehre für die Schweiz zu spielen und umso spezieller, stehe ich dann gleich mit Mehdi auf der Platte», so Sadok. Mehdi ist diesbezüglich schon ein wenig erfahrener. Er gab sein Debüt in der A-Nationalmannschaft just beim denkwürdigen Schweizer Auftaktsieg über Österreich, an der WM 2021 in Ägypten und hat mittlerweile schon 15 Länderspiele bestritten.
Nun sind die beiden Zwillingsbrüder beide in der A-Nationalmannschaft angekommen. Es ist ein bemerkenswerter Weg, wenn man bedenkt, woher Mehdi und Sadok kommen. Als Söhne tunesischer Einwanderer begannen die beiden als Neunjährige in der U11 von Crissier, einem Vorort von Lausanne, mit Handball. «Wir versuchten uns auch in anderen Sportarten wie Judo, Fussball und Tennis. Handball hat uns aber schon immer fasziniert», sagt Mehdi.
Kein Wunder. Denn Vater Ameur Ben Romdhane ist ehemaliger U-Nationalspieler Tunesiens und war auch Spielertrainer bei der US Yverdon. «Wir sahen noch Spiele unseres Vaters in der Halle», so die Zwillingsbrüder, die ihren Vater auch ihr grosses Vorbild nennen. Ameur übernimmt in der Folge eine Jugendmannschaft von Crissier, trainiert seine Söhne selbst. «Vor und nach den Trainingseinheiten mit der Mannschaft schoben wir zu dritt Extraschichten. Dazu gezwungen hat uns unser Vater aber nie, wir waren einfach schon immer sehr ambitioniert», so Sadok.
Im regionalen Leistungszentrum im Hand-études de Crissier beginnen sie im Jahr 2014 ihren Weg in die Elite, ein Jahr später folgt bereits der nächste Schritt. Die Zwillingsbrüder Ben Romdhane versuchen sich in Frankreich, in der Jugendakademie von Chambéry. Eine (zu) grosse Umstellung. «Die Schule war komplett anders. Und bald wurde klar, dass man in Chambéry nur auf Franzosen setzt», blickt Mehdi zurück. In der Folge entsteht der Kontakt zum heutigen Nationaltrainer Michael Suter, dem Leiter in der Suisse Handball Academy in Schaffhausen.
Neues Umfeld, neue Sprache, neue Handball-Ausbildung – Sadok und Mehdi ziehen im Jahr 2017 in die Deutschschweiz. «Unsere Kollegen aus Lausanne hören wir nicht mehr viel, sie verfolgen unsere Karrieren aber noch auf Instagram», sagt Sadok. In Schaffhausen hätten sie schnell neue Freunde gewonnen. Und auch die Hürde «Schweizerdeutsch» haben beide problemlos gemeistert, unterhalten sich problemlos auf Dialekt. «In den ersten beiden Jahren haben wir nur Hochdeutsch gesprochen. Mittlerweile kann ich aber besser Schweizerdeutsch», sagt Mehdi mit einem Lachen.
Die Lehrjahre in Schaffhausen sind intensiv, neben den Trainings absolvieren beide eine Lehre bei der Post. «Mehdi und Sadok sind immer früh aufgestanden – entweder fürs Training, oder um Briefe auszutragen», erinnert sich Suter. Mehdi absolviert die vergangene Saison bei GC Amicitia, pendelt zusätzlich noch nach Zürich und zurück. «Ich hatte aber immer hohe Ziele, darum habe ich all diesen Zusatzaufwand immer auf mich genommen», so der heutige Rückraumspieler der Kadetten Schaffhausen.
Gelohnt hat es sich allemal. Mehdi schafft es 2021 gar an die WM, Sadok ist gut zwei Jahre später auch Nationalspieler. Der Konkurrenzkampf, der unter Zwillingsbrüdern unweigerlich herrscht, haben die beiden immer in positive Energie umgemünzt. Sadok stellvertretend: «Als Mehdi es im Januar 2021 in die Nati schaffte, war ich stolz auf ihn. Und nun ist er stolz auf mich.» Überdies spielen die beiden auf unterschiedlichen Positionen: Sadok als Linkshänder auf Rückraum rechts, Mehdi als Rechtshänder auf Rückraum links. Da kommt man sich also nicht in die Quere.
Potential nach oben haben sie beide noch. Michael Suter: «Mehdi war körperlich immer schon weiter als Sadok. Aber das Beispiel Sadok zeigt, dass es sich als Trainer lohnt, Geduld zu haben. Manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn man erst mit 21 oben ankommt. Dann hat man viele andere Sachen schon gelernt.»
Mehdi und Sadok Ben Romdhane sind zwei der wenigen Romands in der Geschichte der Schweizer Nationalmannschaft. Nehmen sie im Handball-Welschland auch eine Vorbild-Funktion ein? «Die grössten Handballer in der Schweiz sind Andy Schmid und Nikola Portner. Das ist in der Romandie nicht anders», stellt Mehdi klar. «In Crissier kennen sie uns schon, aber um ein Vorbild zu werden, müssen wir erfolgreicher werden», so die bodenständigen Zwillingsbrüder.
In den kommenden Wochen heisst der Alltag der Ben Romdhanes wieder QHL. Mehdi hat in der ersten Mannschaft der Kadetten Fuss gefasst, Sadok ist diese Saison an den TSV St. Otmar St. Gallen ausgeliehen. «Nach all den gemeinsamen Jahren ist es auch gut, machen wir mal unterschiedliche Sachen!» Und da begegnet man sich in den Direktduellen auch auf dem Feld. Sadok: «Mein allererstes QHL-Spiel mit Otmar war ausgerechnet gegen die Kadetten und Mehdi. Das war sehr speziell. Beim zweiten Aufeinandertreffen in Schaffhausen? Mehdi? Auf der Platte? Ich kenne ihn nicht!», lacht Sadok.
Ganz getrennt sind die Zwillinge indes nicht. Mittlerweile wohnen sie in einer gemeinsamen Wohnung in der Stadt Schaffhausen, Sadok pendelt nach St. Gallen.
Bleibt die Frage nach der Zukunft. «Irgendwann wollen wir in einer grösseren Liga spielen, Frankreich oder Deutschland. Wir sind aber noch jung und geniessen gerade den Moment. Wir leben unseren Traum!», so Mehdi. Nationaltrainer Suter ist sich sicher, dass die beiden das Zeug für eine Ausland-Karriere haben, freut sich aber erst über deren Leistungen in der Nati.
Vielleicht schon wieder in der EM-Qualifikation gegen Ungarn am 9. März am Wohnort der Ben Romdhane-Brüder, in Schaffhausen.
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