Nationaltrainer-Kolumne: Die Analyse von Rolf Brack

16.11.2015

Die Schweizer Nationalmannschaft hat in der vergangenen Woche am Vierländerturnier in Tunesien nach zwei Siegen gegen Algerien und den Iran sowie einer Niederlage gegen den Gastgeber den guten zweiten Platz belegt. Nationaltrainer Rolf Brack blickt in seiner Kolumne ausführlich zurück auf die drei Partien, die nicht ganz einfache Kadersituation und die Auftritte seiner Mannschaft.



Mit der Rekordanzahl von total zehn Absagen aufgrund von Verletzungen, Studium und Erholungspausen hatten wir in diesem Lehrgang eine grosse Herausforderung zu meistern. Die Kadersituation bereitete uns in der Nachbetrachtung aber weniger Probleme als erwartet. Aufgrund der Blockwechseltaktik – Wechsel aller Feldspieler nach jeweils rund 15 Minuten – haben alle sechzehn Akteure ausreichend Spielzeit erhalten, um ihre Qualitäten auf internationalem Level unter Beweis zu stellen. So konnten sich auch die drei Debütanten Björn Fröhlich als zentraler Verteidiger im 5-1-System, Lucas Meister als vornehmlich im Angriff eingesetzter Kreisspieler sowie Cédrie Tynowski bis zu seinem verletzungsbedingten Ausscheiden in der zweiten Partie als rückzugsstarker Rechtsaussen positiv in Szene setzen.

Die bereits bei der Universiade formierte Rückraumreihe mit Lukas von Deschwanden, Thomas Hofstetter und Nicolas Raemy hat unsere Angriffsphilosophie in allen drei Partien gut umgesetzt. Davon haben mit Luca Linder und Jonas Dähler vor allem die beiden aus dem Verein eingespielten Flügelspieler von Wacker Thun  profitiert – sie wurden immer wieder von den Halbangreifern freigespielt. Thomas Hofstetter hat mit starker Spielsteuerung und individueller Qualität als Assistgeber und Abschlussspieler überzeugt und wurde zurecht als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet. Der erste Spielerblock umfasste mit den Abwehrspielern Björn Fröhlich und Stefan Freivogel total acht Spieler.

Im Gegensatz zum ersten Block, der an der Universiade im Juli bereits acht Spiele sowie zwölf Trainingseinheiten absolviert hat und über entsprechende Automatismen verfügte, musste der zweite Spielerblock in den sechs Trainings vor dem Turnier in Tunesien völlig neu abgestimmt werden. Aufgrund der Besetzung mit vier Spielern von Pfadi Winterthur kam für den zweiten Block nur eine aggressiv, offensive 3-2-1-Deckung in Frage. Vor allem in den ersten beiden Spielen funktionierten diese Abwehr und die gesamte Wechselstrategie gut.

«Jeder Spieler in seinem Block hatte klare Aufgaben und eine zu bewältigende Anzahl von taktischen Vorgaben. Und jeder unserer Spieler dachte: Ich bin wichtig für das Team.»

Mit den Blockwechseln haben wir es geschafft, die Belastung auf alle Spieler zu verteilen, ohne zu viele Einzelwechsel durchzuführen. Darüber hinaus war diese Wechseltaktik mit folgenden Vorteilen verbunden: 1.) Es ist leichter möglich, über 60 Minuten Tempohandball zu spielen. 2.) Jeder Spieler muss in seinem Block nur in einem Abwehrsystem abgestimmt werden und hat damit eine auch bei unserem geringen Trainingsumfang zu bewältigende Anzahl von taktischen Vorgaben. 3.) Wir können dem Gegner mit den verschiedenen Verteidigungs-Systemen vor neue Aufgaben stellen. 4.) Bei jedem Spieler entsteht das Bewusstsein, etwas Wichtiges für die Mannschaftsleistung beizutragen. In Tunesien hatte jeder unserer Spieler das Gefühl: «Ich bin wichtig für das Team.»

Eine positive Entwicklung im Vergleich zu den Länderspielen am Ende der vergangenen Saison war die deutlich höhere Aggressivität aus den offensiven Grundformationen 5-1 und 3-2-1 und die Konterbereitschaft. In der 5-1-Verteidigung hat sich die vertikale Achse mit Torhüter Aurel Bringolf, dem zentralen Abwehrspieler Björn Fröhlich und dem vorgezogenen Verteidiger Luca Linder hervorgetan. Nicht zuletzt dadurch verzeichneten wir mit durchschnittlich vierzehn gehaltenen Bällen pro Partie die besten Torwartleistungen seit langem. Diese Abwehr- und Systemstärke nach dem «AAA-Prinzip» (Attackieren, Antizipieren, Aushelfen) wollen wir auch in die Spiele im Januar mitnehmen.

Erfreulich war wie erwähnt die hohe Bereitschaft zum Tempospiel – im Durchschnitt liefen wir in jedem Spiel vierzehn Konter. Was wir aber verbessern müssen, ist unsere Gegenstoss-Effizienz, die bei 50 Prozent lag. Im Angriff haben wir im Turnierverlauf die Anzahl der technischen Fehler von dreizehn im ersten Spiel auf jeweils nur fünf in den folgenden beiden Partien stark reduziert. Hervorzuheben war auch das 6:5-Überzahlspiel sowie das 5:6-Unterzahlspiel. Hier haben wir durch das Einwechseln eines sechsten Feldspielers im Spiel ohne Torwart eine Traumquote von knapp 70 Prozent erzielt. In diesem Zusammenhang hat Lukas Magnaguagno, der in Tunesien als Hospitant dabei war, in unseren videogestützten Spielnachbereitungen innovative Impulse gesetzt.

Die Angriffskonzeptionen, die wir in unserer Spielphilosophie seit Januar 2014 festgelegt haben, werden mittlerweile ohne Nachzudenken abgerufen und zunehmend mit intelligenten und kreativen Lösungen zu Ende gespielt. Die Umsetzungsbereitschaft der Spielphilosophie in den konkreten Matchplan war deutlich besser als zuletzt. Wir haben das gespielt, was wir trainiert und abgesprochen haben.

«Der Hunger nach Erfolg auf der Basis eines ausgeprägten Teamspirits hat zu Handball mit Herz und Leidenschaft geführt.»

Insgesamt betrachtet war es eine lehrreiche und für unsere Weiterentwicklung wichtige Trainings- und Spielwoche. Neben den schon erwähnten Aspekten der Kaderzusammenstellung und der Spielphilosophie waren die Lernbereitschaft und die positive Stimmung bemerkenswert. Alle Spieler haben eine super Mentalität gezeigt. Der Hunger nach Erfolg auf der Basis eines ausgeprägten Teamspirits hat zu Handball mit Herz und Leidenschaft geführt.

Wir müssen die in dieser Woche positiv erlebte Mentalität und Taktikqualität in die WM-Qualifikation im Januar mitnehmen. Die Zahl potenzieller Kandidaten für die Nationalmannschaft ist grösser geworden. Die endgültige Nominierung orientiert sich an der aktuellen Form der Einzelspieler zum Jahresende sowie vor allem von deren Bereitschaft, im Team für die Nationalmannschaft alles zu geben.

Rolf Brack, Nationaltrainer    »

Source: Marco Ellenberger

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