22.10.2015
Nationaltrainer Rolf Brack sieht sich vor dem ersten Lehrgang der neuen Saison bereits wieder mit grossen Personalschwierigkeiten konfrontiert. Nicht weniger als acht Stammspieler stehen ihm aufgrund von Verletzungen, Überbelastung oder Prüfungen nicht zur Verfügung. Im Interview spricht der 61-jährige Deutsche über die Situation im Allgemeinen – und erläutert, was sich ändern muss, um mit der Nationalmannschaft den erhofften Schritt vorwärts zu kommen.
Rolf Brack, Sie sahen sich bei der Zusammenstellung des Nationalmannschafts-Kaders erneut mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Rolf Brack: Ähnlich kritisch und bedenklich wie bei den EM-Qualifikations-Spielen zum Ende der vergangenen Saison. Dort haben uns fünf Leistungsträger wegen Verletzungen gefehlt, und weitere wichtige Akteure hatten aufgrund von gerade überstandenen Verletzungen keine gute Form. Mit Andy Schmid, Manuel Liniger, Daniel Fellmann, Fabio Baviera, Michal Svajlen, Valentin Striffeler, Luka Maros und Luca Mühlemann fehlen uns acht Stammspieler. Fraglich sind zudem nicht nur der Einsatz von Luca Spengler (Knochenprellung), Roman Sidorowicz (Bänderriss) und Jonas Dähler (Muskelfaserriss, Red.), sondern noch mehr deren Form Anfang November nach jeweils mehrwöchigen Verletzungspausen. Diese Ausfallquote bereits zu Saisonbeginn sollte uns zu denken geben.
Was bedeuten diese Ausfälle in Bezug auf die spielerische und taktische Ausrichtung?
Rolf Brack: Wir haben nun natürlich vorab ein noch grösseres Defizit im Bereich der zentralen Achse, das heisst auf der Kreisläuferposition sowie im zentralen Abwehrbereich. Mit Michal Svajlen, Daniel Fellmann, Fabio Baviera und David Graubner (nach seinem Rücktritt, Red.) fallen alle vier eingespielten Innenverteidiger weg. Darum habe ich mit Luca Spengler, Lucas Meister und Björn Fröhlich drei neue Spieler aufgeboten, die aufgrund ihrer Konstitution auf der Dreier-Position verteidigen können. Andererseits werden wir sicher auch eine neue, offensivere Abwehrvariante ins Programm aufnehmen, die als 5-1-System nur einen Innenverteidiger benötigt. Es wird im Grossen und Ganzen vor allem darum gehen, die für den Erfolg notwendige Abwehrqualität durch mehr Abwehrvariabilität zu entwickeln.
«Wenn wir uns in den kommenden Jahren für eine WM oder EM qualifizieren wollen, müssen wir das Umfeld der Nationalspieler professionalisieren. Aktuell gehen Anspruch und Wirklichkeit zu weit auseinander.» Rolf Brack, Nationaltrainer
Wie gehen Sie ganz allgemein mit dieser schwierigen Situation um?
Rolf Brack: Jammern hilft nichts. Wir müssen die Situation so annehmen und mit realistischen Erwartungen an die Sache herangehen. Wie beim Gewinn der Bronzemedaille an der Universiade wollen wir die Defizite im individuellen Bereich mit grossem Teamgeist und der richtigen Mentalität kompensieren. Maximale Leistung basiert auf leidenschaftlicher Begeisterung. Andererseits ist es auch eine gute Gelegenheit für uns, um den Notfall vorzubereiten, falls in den Spielen im Januar erneut Leistungsträger ausfallen. Wir haben in Tunesien die Möglichkeit, uns gegen drei sehr aggressiv spielende Gegner zu präsentieren – und wir werden wichtige Erkenntnisse gewinnen, welche unserer Spieler international mithalten können.
Nicht zum ersten Mal fallen nun zahlreiche wichtige Spieler für einen Lehrgang der Nationalmannschaft verletzungsbedingt aus. Muss man da nicht irgendwann die Grundsatzfrage betreffend dem System stellen?
Rolf Brack: Der Spielkalender der Vereine ist zu aufgebläht, es finden zu viele Spiele für die Top-Mannschaften statt. Mit Ausnahme der Kadetten ist bei den Vereinen keine ausreichende Breite im Kader vorhanden, um die Belastung auf mehrere Schultern zu verteilen. Wie gross die Notwendigkeit zur Belastungsdosierung und für Erholungspausen ist, zeigt das Beispiel der Rhein-Neckar Löwen, die zuletzt in der Champions League ihre Stammkräfte nahezu komplett geschont haben. Man muss sich also schon die Frage stellen, ob der nationale Spielmodus mit Qualifikation, Finalrunde und Playoffs – mit Best-of-Five-Format – und die semi-professionellen Rahmenbedingungen unserer Nationalspieler vereinbar sind. Aus meiner Sicht können wir mit der A-Nationalmannschaft nur erfolgreich sein, wenn unsere besten Spieler verletzungsfrei und in guter Form zur Verfügung stehen und wir den Trainingsumfang mit der Mannschaft erhöhen können.
«Wenn etwas besser werden soll, muss es anders werden.»
Rolf Brack, Nationaltrainer
Neben den verletzungsbedingten Ausfällen gibt es aber mit Ausbildung und Beruf noch ein weiteres «Problemfeld». Wie denken Sie darüber?
Rolf Brack: Es ist tatsächlich so, dass in der Schweiz der Prüfungskalender für Studenten und der internationale Terminkalender der EHF fast deckungsgleich sind – die Termine überschneiden sich immer wieder. Nun steht der in der NLA sehr stark spielende Fabio Baviera aufgrund von Prüfungen nicht zur Verfügung, und im Januar sehen wir gleich bei mehreren Spielern schon wieder solche «Doppelbelastungsprobleme» auf uns zukommen. Es gibt in der jüngeren Vergangenheit einige Beispiele, die zeigen, dass sich Handballer in der Schweiz im Zweifel oftmals für Beruf, Studium und Vereinshandball und wegen der daraus folgenden «Dreifachbelastung» gegen die Nationalmannschaft entscheiden. Es geht überhaupt nicht darum, jemanden dafür zu kritisieren. Wenn wir uns aber in den kommenden Jahren für eine WM oder EM qualifizieren wollen, müssen wir das Umfeld der Nationalspieler professionalisieren. Aktuell gehen Anspruch und Wirklichkeit einfach zu weit auseinander.
Mit der Bronzemedaille an der Universiade in Südkorea hat der Schweizer Handball zuletzt immerhin wieder einmal ein internationales Ausrufezeichen gesetzt. Was braucht es, um diesen Erfolg nun auch auf die Stufe A-Nationalmannschaft weiterzutragen?
Rolf Brack: Den Rückenwind von der Universiade wollen wir nun gerade in Tunesien wirklich mitnehmen. Zumal wir mit Lukas von Deschwanden, Thomas Hofstetter und Nicolas Raemy auch den kompletten Rückraum dabei haben, der damals sehr gut zusammen funktioniert hat. Wenn wir ganz Allgemein weiterkommen wollen, sind Attribute wie Leistungsbereitschaft und Lernbereitschaft zentral. Wir müssen als Mannschaft sehr gut eingespielt sein – und das erreichen wir mittelfristig nur dann, wenn wir neben dem ordentlichen Nationalmannschafts-Kalender noch zusätzliche Trainingsmassnahmen mit gesunden und formstarken Topspielern bestreiten können. Wenn etwas besser werden soll, muss es anders werden.
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