Interview mit dem neuen Frauen-Nationaltrainer Martin Albertsen

15.02.2018

Die Schweizer Frauen-Nationalmannschaft hat am Montag und Dienstag in Hochdorf den ersten Lehrgang mit ihrem neuen Trainer Martin Albertsen absolviert. Der 43-jährige Däne, der Bietigheim im vergangenen Sommer zum deutschen Meistertitel führte und mit seinem Verein jetzt in der Hauptrunde der Champions League im Einsatz steht, erzählt im Interview von seinem ersten Eindruck, seiner Handball-Philosophie und seinen Erwartungen.
 



Martin Albertsen, hinter Ihnen liegen die ersten beiden Trainingstage mit der Schweizer Nationalmannschaft. Was für Eindrücke nehmen Sie mit?

Martin Albertsen: Ich bin sehr positiv nach den ersten beiden Tagen. Die Frauen waren ehrgeizig und wollen unbedingt etwas erreichen. Deswegen bin ich zuversichtlich, nicht nur für die Nationalmannschaft, sondern allgemein für den Frauenhandball in der Schweiz. Ich denke, es gibt gerade in den aktuellen Nachwuchs-Jahrgängen gute Talente, da brauchen wir den Vergleich mit anderen Nationen nicht zu scheuen.

Inwiefern haben Sie sich vor Ihrem Engagement mit dem Schweizer Frauenhandball beschäftigt?

Martin Albertsen: Ich hätte diesen Job nicht angenommen, wenn ich nicht glauben würde, dass wir hier etwas erreichen können. Ich habe selbstverständlich eine Analyse der Situation gemacht und dabei das Potenzial gesehen. Ich habe vor ein paar Jahren mit Viborg in der Champions League-Qualifikation gegen Brühl gespielt, dazu habe ich viele weitere Schweizer Clubteams schon an internationalen Vorbereitungsturnieren beobachtet. Das Potenzial für die Zukunft ist vorhanden. Ich erwarte darum in den kommenden Jahren eine positive Entwicklung.
 

«Unsere Persönlichkeiten passen sehr gut zusammen. Ich kann so von Anfang an mehr über Handball denken, und weniger über Teambildung.»


Sie haben gesagt, dass ein Problem des Frauenhandballs in der Schweiz ist, dass zu wenig Glaube an die eigene Stärke vorhanden ist – dass man sich also schlechter redet, als man in Wirklichkeit ist. Wie ist das zu verstehen?

Martin Albertsen: Ja, und das habe ich gerade auch in den ersten Trainings gespürt. Ich bin es gewohnt, in Bietigheim jeden Tag mit Nationalspielerinnen aus starken Nationen wie Deutschland, Dänemark oder den Niederlanden zu arbeiten. Ich kann sagen, dass einige Schweizerinnen das gleiche Niveau aufweisen wie jene Spielerinnen – aber die Schweizerinnen glauben das selber nicht, weil sie nie den direkten Vergleich in einem Topteam hatten.

Allgemein ist der Frauenhandball in der Schweiz besser, als viele Leute glauben. Man kann sich diese Schwäche natürlich einreden, weil beispielsweise der öffentliche Fokus in den vergangenen Jahren gefehlt hat. Dann bleibt das auch so in den Köpfen drin.

Aber ich bin ein «Fakten-Mensch». Wenn ich Talente sehe und weiss, dass diese genau so gut sind wie in Deutschland oder in Dänemark, dann sage ich das auch. Es ist für mich wichtig, dass sich die Spielerinnen selbst richtig einschätzen können, weil es ja auch ein grosser Antrieb ist, wenn man weiss, dass man in dieser Sportart eine gute Perspektive hat. Es geht dabei niemals darum, Unwahrheiten zu erzählen – ich werde immer bei den Fakten bleiben. Aber ich habe viel Talent gesehen in den letzten Tagen.

Die Schweiz ist ihre erste Station als Trainer einer Nationalmannschaft. Wie gehen Sie diese neue Aufgabe an?

Martin Albertsen: In einem Verein hat man viel Zeit, mit einer Mannschaft eine Entwicklung zu schaffen. Das ist mit einer Nationalmannschaft anders. Wir müssen darum sehr viel über «einfachen» Handball arbeiten. Mit vielen kleinen Hinweisen, wie sich die Spielerinnen individuell verbessern können. Mein Plan ist, dass wir ein einfaches Konzept für das Kollektiv haben, dass wir aber vor allem sehr viel in Kontakt mit den einzelnen Spielerinnen stehen, um sie in Zusammenarbeit mit den Vereinen weiter zu entwickeln. Über diese individuellen Qualitäten wollen wir eine starke Mannschaft aufbauen.

Ist Ihnen in den ersten Trainings etwas speziell aufgefallen?

Martin Albertsen: Ich habe sofort gespürt, dass in der Mannschaft eine enorm gute Stimmung herrscht. Alle hatten viel Freude und Motivation, um miteinander zu arbeiten. Das ist übrigens etwas, das viele Nationen versuchen zu erreichen – aber wir haben das schon. Unsere Persönlichkeiten passen sehr gut zusammen. Ich kann so von Anfang an mehr über Handball denken, und weniger über Teambildung. Das ist eine sehr gute Ausgangslage.
 

«Das Motto lautet: Zusammenstehen – und dort, wo der Ball ist, ist es gefährlich.»


Wie sieht Ihre persönliche Handball-Philosophie aus?

Martin Albertsen: Ich versuche, einen einfachen Handball spielen zu lassen. Einfacher Handball ist auch schöner Handball. Dazu gehört natürlich Schnelligkeit, aber nicht um jeden Preis. Es geht darum, die Anzahl der Fehler zu reduzieren: Wenn wir weniger technische Fehler machen, erhalten wir sofort mehr Versuche, um Tore zu erzielen.

Natürlich setzen wir auch einen Schwerpunkt in der Defensive. Für mich ist Abwehr etwas, das viel Teamwork und gegenseitige Unterstützung bedingt. Es ist eine Frage der Mentalität, dass wir gemeinsam eine Verteidigung stellen, die solidarisch füreinander arbeitet. Das tönt in der Theorie simpel, aber ich weiss aus meiner langen Erfahrung als Trainer von Frauen-Mannschaften, dass es manchmal nicht ganz einfach ist, eine Abwehr-Philosophie in der Praxis umzusetzen, weil sich Frauen sehr viele Gedanken über die Folgen jeder einzelnen Aktion machen. Darum muss man das sehr unkompliziert angehen. Das Motto dabei lautet: «Zusammenstehen – und dort, wo der Ball ist, ist es gefährlich.»

Am 21. März steht mit dem Heimspiel gegen die Ukraine bereits der erste Ernstkampf auf dem Programm. Was können oder wollen Sie im Hinblick darauf in der kurzen Zeit bereits verändern?

Martin Albertsen: Das Wichtigste ist der Glaube an uns. Unsere Frauen sind im Alltag mit vielen anderen Menschen zusammen. Wenn sich dort stets alle einreden, dass wir es nicht schaffen, kann ich versprechen: Dann werden wir es nicht schaffen. Wir müssen unbedingt selbst erkennen, was für ein Potenzial wir hier haben. Dann legen wir den Fokus auf unsere Aufgaben und zeigen dem Publikum in Siggenthal, dass wir über eine vielversprechende Zukunft verfügen. Ich kann versprechen, dass ich dafür alles geben werde, und das erwarte ich auch von meiner Mannschaft.

Geht es also auch darum, das gewohnte «Schweizer» Denken etwas zu durchbrechen?

Martin Albertsen: Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich bin Däne, und ich weiss nicht, wie die Schweizer denken (lacht). Allgemein ist aber klar: Wenn man sich gewohnt ist, zu verlieren, dann wird das zum Alltag. Plötzlich wird dann auch eine knappe Niederlage ein Erfolg. Aber so kann ich nicht denken. Für mich ist eine Niederlage eine Niederlage, egal in welcher Höhe. Ich werde darum immer in ein Spiel gehen, um es zu gewinnen. Wenn wir alles geben, und mit zehn Toren Unterschied verlieren, dann müssen wir das akzeptieren. Aber wir müssen immer alles machen, damit die Möglichkeit besteht, dass wir siegen können. Ich habe mir in der Vergangeheit viele Spiele angesehen, und ich habe oft gedacht: Da war doch eine Möglichkeit, zu gewinnen. Warum haben wir das nicht gemacht? Es muss der Anspruch sein, solche Spiele künftig zu gewinnen.
 



Persönlich
Name: Martin Fruelund Albertsen (43)
Nationalität: Dänemark
Zivilstand: Verheiratet mit Anne, zwei Kinder
Trainerlizenz: EHF Master Coach
Aktueller Verein: SG BBM Bietigheim (Deutscher Meister)

Erfolge (Auszug)
Dänischer Cupsieger 2003 (Viborg HK)
EHF Cup-Sieger 2004 (Viborg HK)
Dänischer Meister 2004 (Viborg HK)
Deutscher Meister 2006 (HC Leipzig)
Deutscher Cupsieger 2006 (HC Leipzig)
Deutscher Frauentrainer des Jahres 2006
EHF Cup-Finalist 2012 (Viborg HK)
Dänischer Cupsieger 2012 (Viborg HK)
EHF Cup-Finalist 2017 (SG BBM Bietigheim)
Deutscher Meister 2017 (SG BBM Bietigheim)
Deutscher Supercup-Sieger 2017 (SG BBM Bietigheim)
Deutscher Frauentrainer des Jahres 2017

Source: Marco Ellenberger

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